Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)
Partygeplappers, hohen Wäschereikosten und Nasen-Rachen-Krebs wenige weitere Folgen. Die chinesische Tabaksucht fand in einem vollkommen anderen Kontext statt und hatte daher auch ganz andere Auswirkungen.
N. tabacum
war Teil einer ungeplanten ökologischen Invasion, die das moderne China – zum Guten wie zum Schlechten – prägte.
Damals stellte China ungefähr ein Viertel der Weltbevölkerung, die sich von etwa einem Zwölftel der wirtschaftlichen Nutzfläche der Erde ernähren musste. Beide Zahlen sind bestenfalls als ungenau zu bezeichnen, aber es gibt kaum Zweifel daran, dass China schon seit langem sehr bevölkerungsreich war und immer relativ wenig Land hatte, um seine vielen Einwohner zu versorgen. Das hieß: China musste riesige Mengen Lebensmittel – mindestens die Hälfte des nationalen Bedarfs – auf Flächen erzeugen, die genügend Wasser zum Anbau von Reis und Weizen hatten. Leider sind diese Gebiete relativ klein. Das Land hat viele Wüsten, einige große Seen, unregelmäßige Niederschläge und nur zwei große Flüsse, den Jangtse und den Huanghe, den Gelben Fluss. Beide Ströme verlaufen in langen Schleifen von den westlichen Gebirgen zur Pazifikküste, wo sie knapp hundertfünfzig Kilometer voneinander entfernt münden. Der Jangtse trägt den Schlamm aus den Bergen in die Reisfelder nahe seiner Mündung. Der Huanghe lagert ihn in der Nordchinesischen Tiefebene ab, damals wie heute das Zentrum der chinesischen Weizenproduktion. Beide Regionen haben entscheidende Bedeutung für die Lebensmittelversorgung der Nation; sie sind in China die einzigen Anbaugebiete dieser Art. Und beide werden sie immer wieder von Überschwemmungen heimgesucht.
Song und Yuan, Ming und Qing – jede Dynastie wusste um diese Anfälligkeit und die daraus resultierende Notwendigkeit, Chinas landwirtschaftliche Basis durch Kontrolle der beiden Flüsse zu erhalten. Diese Wasserwirtschaft war so bedeutend, dass europäische Denker wie Karl Marx und Max Weber sie für Chinas wichtigste Institution hielten. Für die Errichtung und den Betrieb weitläufiger und komplizierter Bewässerungssysteme sei, so Weber, die Organisation großer Massen von Arbeitern erforderlich, was wiederum die Entstehung einer mächtigen Staatsbürokratie und die Unterdrückung des Einzelnen erforderlich mache. In einem einflussreichen Buch aus dem Jahr 1957 bezeichnete der Soziologe Karl Wittfogel in Anlehnung an Marx China und andere Kulturen, die auf eine solche Wasserwirtschaft angewiesen waren, als «hydraulische Gesellschaften». Wie Wittfogel diese Gesellschaften sah, verrät der Titel seines Buchs:
Die orientalische Despotie.
Europa war nach seiner Auffassung einer solchen Despotie entgangen, weil seine Bauern keine Bewässerung brauchten. Sie hätten für sich selbst gesorgt, was die Traditionen von Individualismus, Unternehmergeist und technischem Fortschritt begründet habe, die China nie besessen habe. In jüngerer Zeit steht man diesen Thesen eher skeptisch gegenüber. Heute sind die meisten Sinologen der Meinung, das hydraulische Asien sei ebenso vielfältig, individualistisch und marktorientiert gewesen wie die übrige Welt, einschließlich des nicht hydraulischen Europas. Trotzdem ist diese Vorstellung immer noch einflussreich, zumindest im Westen, wo China allzu oft als gesichtslose Masse von Arbeitern gesehen wird, die sich ameisenhaft nach den Befehlen des Staates bewegt. [360]
Allerdings bestreitet keiner der Wissenschaftler, die diese älteren Theorien in Frage stellen, dass China relativ wenig Land hatte, das sich für den Reis- und Weizenanbau eignete. So gesehen war der kolumbische Austausch ein Geschenk des Himmels, das China dankbar annahm. «In der Alten Welt gab es keine größere Gesellschaft, die die amerikanischen Nahrungspflanzen rascher übernommen hat als die Chinesen», schrieb Alfred W. Crosby in seinem Buch
The Columbian Exchange.
Süßkartoffeln, Mais, Erdnüsse, Tabak, Spanischer Pfeffer, Ananas, Cashew, Maniok (Cassava) – all diese Pflanzen gelangten durch den Galeonenhandel nach Fujian, durch portugiesische Schiffe in Macao nach Guangdong, die Provinz südwestlich von Fujian, und durch die Niederländer über Japan nach Korea. Alle wurden sie zu einem festen Bestandteil des chinesischen Lebens – wer kann sich Speisen à la Sichuan (Szechuan) heute ohne reichliche Beigaben von Spanischem Pfeffer vorstellen? «Zu einer Zeit, als die Männer, die mit Cortés Tenochtitlan erstürmt hatten, noch
Weitere Kostenlose Bücher