Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)
mit einer 1 , 50 Meter langen Rohlederpeitsche abgestraft. Durch Folter ahndete man kleinere Verstöße. Niemand konnte von der Insel entkommen. Selbstmorde waren an der Tagesordnung. Einem Korrespondenten der
New York Times
berichtete ein Aufseher: «Mehr als sechzig haben sich im Laufe des Jahres umgebracht … hauptsächlich, indem sie sich von den Klippen stürzten. Sie werden begraben, wie sie leben: wie Hunde. Als ich zum ersten Mal die Insel betrat, sah ich auf dem Guano einen Ertrunkenen liegen – ob es ein Unfall war oder nicht, wusste man nicht. Den ganzen Morgen lag seine Leiche in der Sonne; am Nachmittag hatten sie ihn mit ein paar Zentimetern bedeckt. Da blieb er liegen, neben vielen ähnlichen Haufen, nur ein paar Meter von dem Ort entfernt, wo sie den Guano abbauten.»
Es starben so viele Chinesen, dass die Aufseher fast einen halben Hektar Guano als Friedhof absteckten. [448]
Die Zeitungsberichte über die Guano-Sklaverei lösten einen internationalen Skandal aus, der der Regierung in Lima einen Vorwand lieferte, Elías die Konzession zu entziehen und den Guanovertrag mit jemand anders auszuhandeln, wodurch sich die Chance zu einer zweiten Bestechungsrunde ergab. Gegen das Übel der Korruption von Beamten wetternd, versuchte Elías, wieder in den Besitz seiner einträglichen Schürfrechte zu gelangen, indem er zweimal einen Staatsstreich inszenierte. Beide Versuche scheiterten. 1857 probierte er den legalen Weg und kandidierte für das Präsidentenamt, hatte aber auch da keinen Erfolg. [449]
Währenddessen wurden Europa und Nordamerika unvermindert mit Guano beliefert. Neben der Übertragung der alleinigen Schürfrechte an Elías hatte Peru einer Reederei in Liverpool das Monopol auf die internationale Guanoverschiffung erteilt. Da die Nachfrage das Angebot weit übertraf, konnten Peru und seine britischen Vertragspartner hohe Preise verlangen. Ihre Kunden reagierten empört auf dieses Geschäftsgebaren, das sie für Wucher hielten. Das «mächtige Guanomonopol» beklagend, brachte das britische
Farmer’s Magazine
1854 die Forderungen seiner Leser zur Sprache. «Wir bekommen nicht annähernd die Mengen, die wir brauchen; zugleich verlangen wir einen niedrigeren Preis.» Wenn Peru so viel für ein dringend erforderliches Produkt verlange, sei die einzige gerechte Lösung eine Invasion. Es gelte also, die Guanoinseln zu besetzen! [450]
Aus heutiger Sicht ist die Empörung – mit der Androhung gesetzlicher Maßnahmen, Kriegsgerüchten, Leitartikeln über die Guanofrage – kaum zu verstehen. Doch damals war die Landwirtschaft «die zentrale ökonomische Aktivität jeder Nation», wie der Umwelthistoriker Shawn William Miller darlegt. «Die Fruchtbarkeit einer Nation, die durch die natürlichen Grenzen des Bodens bestimmt wird, prägte zwingend auch den wirtschaftlichen Erfolg eines Landes.» In nur wenigen Jahren war die Landwirtschaft von hochintensivem Dünger abhängig geworden – eine Abhängigkeit, die seither nicht nachgelassen hat. Großbritannien, das Guano zuerst eingesetzt hatte und es am meisten nutzte, war am stärksten abhängig und besonders erzürnt. Wie die Ölkäufer heute ihrem Unwillen über die Mitgliedstaaten der OPEC Luft machen, so schimpften damals Perus britische Kunden auf das Guanokartell. Ihnen kam die Galle hoch, wenn sie sahen, wie die peruanischen Guanobarone in neuester Pariser Mode durch Lima flanierten, juwelenbehängte Flittchen am Arm. [451]
Allerdings verloren die Briten kaum ein Wort über Perus britische Agenten in Liverpool, die mit ihren Anteilen an den Monopolgewinnen eines der größten Gebäude Englands bauten. Die Amerikaner waren weniger zurückhaltend. Sie kochten vor Wut, weil die Briten die Landsleute unter ihren Kunden bevorzugt behandelten, sodass sie sich bei der Guanoverteilung hinten anstellen mussten. Unter dem Eindruck dieser Empörung verabschiedete der US -Kongress 1856 den Guano Islands Act, der amerikanische Staatsbürger dazu berechtigte, jede Guanoinsel in Besitz zu nehmen, auf die sie stießen. Am ergiebigsten erwies sich Navassa, eine fünfzig Meilen südlich von Haiti gelegene Insel, die die Vereinigten Staaten sich 1857 einverleibten. Nach dem Bürgerkrieg waren dort vor allem befreite Sklaven beschäftigt. Die Bedingungen verschlechterten sich zusehends; zweimal rebellierten die ehemaligen Sklaven und töteten einige ihrer Aufseher. Skandalumwittert scheiterte das Unternehmen. Unter dem Schutz des Guano Islands Acts erhoben
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