Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)
anschließend mit einem Schiff über den Atlantik gelangt.
In einer Reihe von Experimenten konnte eine Forschungsgruppe unter Leitung des Pflanzengenetikers Jean Ristaino von der University of North Carolina diese These 2007 widerlegen. Ristainos Gruppe untersuchte mit Hilfe der DNA -Analyse die Kraut- und Knollenfäule bei 186 infizierten Kartoffeln in Herbarien, den botanischen Lagerhäusern von Museen. Die jüngste Probe stammte aus dem Jahr 1967 ; drei waren zwischen 1845 und 1847 in Europa gesammelt worden, in der Zeit der Großen Hungersnot. Ristainos Vorgehensweise war kompliziert im Detail, aber einfach im Prinzip. Da sich
P. infestans
in der Regel ungeschlechtlich fortpflanzt, haben der ursprüngliche Eipilz und seine Nachkommenschaft gewöhnlich identische Gene, ausgenommen die seltenen Male, bei denen eine Mutation die DNA durcheinanderwürfelt. Organismen mit ähnlichen DNA -Mustern gehören, wie die Genetiker sagen, zur selben «Haplogruppe». Wenn zwei Individuen zur selben Haplogruppe gehören, liegt der molekulare Beweis vor, dass sie in jüngerer Zeit einen gemeinsamen Vorfahren hatten. Entsprechend sind verschiedene Haplogruppen ein Anzeichen für das Nichtvorhandensein eines gemeinsamen Vorfahren in jüngerer Zeit. Ristainos Team stellte fest, dass die Knollenfäule aus den Anden mehr Haplogruppen aufwies als die mexikanische Fäule – sie war erheblich vielfältiger. Außerdem war die DNA der alten Fäule in den Herbarienproben, die bis zu anderthalb Jahrhunderte aufbewahrt worden waren, nahezu identisch mit der DNA der Andenfäule. «Die US -amerikanischen und irischen Populationen wiesen genetisch keine Abweichungen gegenüber den peruanischen Populationen auf», schrieben die Forscher. Die Knollenfäule aus den Anden «löste zuerst in den Vereinigten Staaten und dann in Irland Epidemien aus, die zur Hungersnot führten». [462]
Höchstwahrscheinlich gelangte die Knollenfäule an Bord eines aus Peru kommenden Guanoschiffes nach Europa, vermutlich nach Antwerpen. Die Bauern in der angrenzenden Provinz Westflandern hatten Probleme mit ihren Kartoffeln. In einem Prozess, den man heute als einen Ausdruck für die Kraft der Evolution betrachten würde, passten sich die europäischen Krankheitserreger – Viren und Pilze – der neuen Pflanze an. Im Juli 1843 beschloss der Provinzrat von Westflandern, neue Kartoffelsorten aus Nord- und Südamerika einzuführen, in der Hoffnung, sie seien für die Krankheiten weniger anfällig. Es gibt keine Aufzeichnungen über ihre Herkunft und ihren Transport. Es wäre allerdings seltsam, wenn die südamerikanischen Kartoffeln nicht aus den Anden gekommen wären. [463]
Fast mit Sicherheit absolvierten die Kartoffeln die Reise auf einem Guanoschiff. Zwischen 1532 und 1840 fuhren nur wenige Segler direkt von Peru nach Europa, weil Spanien, auf den Schutz seines Silbers in Potosí bedacht, die Routen streng kontrollierte. Als die Erzvorkommen in Potosí zur Neige gingen, verkehrten die Silberschiffe noch seltener. In den 1820 er Jahren errangen Bolivien und Peru ihre Unabhängigkeit und wurden überhaupt nicht mehr von spanischen Schiffen angelaufen. Jetzt war für andere europäische Segler der Weg nach Lima frei, aber sie machten kaum Gebrauch davon: Die neuen Staaten hatten wenig zu bieten und versanken obendrein im politischen Chaos. In den ersten beiden Dekaden erlebte Peru mehr als einen Regierungswechsel pro Jahr; außerdem führte es fünf Kriege mit anderen Staaten. Eine direkte Schifffahrtslinie zwischen Peru und Großbritannien wurde erst 1840 eröffnet. Sie beförderte Guano. Als das Guanofieber einsetzte, waren ganze Flotten von Europa aus unterwegs zu den Chincha-Inseln. Dort zählte ein Reisender im Jahr 1853 hundertzwanzig Schiffe, die sich an den Guano-Docks drängten. Ein anderer, der die Insel später aufsuchte, kam auf hundertsechzig Schiffe. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass einer dieser Segler unwissentlich von Knollenfäule befallene Kartoffeln nach Belgien beförderte – und einen Kontinent infizierte.
Erste Versuche mit den neuen Kartoffeln machte man in Westflandern 1844 . In jenem Sommer bemerkte ein französischer Botaniker aus der Nachbarschaft dunkle Flecken an einigen Kartoffelpflanzen. Der folgende Winter war extrem kalt und hätte eigentlich alle Sporen oder Eier der Fäule im Boden abtöten müssen. Doch die Experimentatoren hatten wohl einige der infizierten Kartoffeln aufbewahrt und pflanzten sie im nächsten
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