Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)
wanderten in britische, französische und deutsche Knochenmühlen. Die Furcht vor Bodenverarmung trieb die Nachfrage in die Höhe. Knochenhändler versorgten die Mühlen aus immer fragwürdigeren Quellen, darunter auch die Schlachtfelder von Waterloo und Austerlitz. «Durch neuere Experimente in großem Maßstab ist jetzt über jeden Zeifel bewiesen, dass ein gefallener Soldat ein höchst wertvoller Handelsartikel ist», hieß es im Londoner
Observer
von 1822 . Die Zeitung merkte weiter an, es gebe keinen Grund zu der Annahme, dass die Grabräuber ihre Tätigkeit auf Schlachtfelder einschränkten. «Womöglich verdanken die braven Bauern von Yorkshire ihr täglich Brot in hohem Maße den Knochen ihrer Kinder.» [442]
Gemessen daran war Vogelkot noch eine akzeptable Handelsware. Die ersten Guanosäcke tauchten Mitte der 1830 er Jahre in europäischen Häfen auf. Dann kam Justus von Liebig ins Spiel. Der fortschrittliche Vertreter der organischen Chemie erklärte als Erster die Abhängigkeit der Pflanzen von Nährstoffen, besonders von Stickstoff. In seiner Abhandlung
Die organische Chemie in ihrer Anwendung auf Agricultur und Physiologie
( 1840 ) kritisierte Liebig die Verwendung von Knochendünger, weil er nur wenig Stickstoff aufweist. Ganz anders Guano: «In einem Boden, der einzig und allein nur aus Sand und Thon besteht, genügt es, dem Boden nur eine kleine Quantität Guano beizumischen, um darauf die reichsten Ernten von Mais zu erhalten.» Liebig genoss enorme Hochachtung; er war ein Exponent jener Wissenschaft, die neue, ergiebige Nutzpflanzen wie Kartoffel und Mais gebracht und neue Denkweisen in Landwirtschaft und Industrie heimisch gemacht hatte. Seine
Organische Chemie
wurde rasch in zahlreiche Sprachen übersetzt; auf Englisch erschienen mindestens vier Ausgaben. Gebildete Landwirte, die meisten Großgrundbesitzer, lasen Liebigs Loblied auf Guano, ließen das Buch fallen und stürzten davon, um das Mittel zu kaufen. Die Erträge verdoppelten, ja, verdreifachten sich. Bodenfruchtbarkeit aus einem Sack! Wohlstand, den man im Laden kaufen konnte! [443]
Wie rasend breitete sich das Guano-Fieber aus. 1841 führte Großbritannien 1880 Tonnen peruanischen Guano ein, fast nur von den Chincha-Inseln; 1843 4056 Tonnen; 1845 waren es 219 764 Tonnen. In vierzig Jahren exportierte Peru rund vierzehn Millionen Tonnen Guano und erhielt dafür ungefähr 150 Millionen Pfund, die heute eine Kaufkraft von rund dreizehn Milliarden Dollar hätten. Es war der Beginn des intensiven Ackerbaus, wie wir ihn kennen, und der Praxis, aufgrund wissenschaftlicher Erkenntnisse große Mengen von Pflanzennährstoffen über große Entfernungen zu befördern. [444]
In der Hoffnung, die Goldgräberstimmung im Guanohandel nutzen zu können, verstaatlichte Peru die Chinchas. Bald musste man jedoch feststellen, dass niemand auf den Inseln arbeiten wollte. Von den Vögeln abgesehen, waren die einzigen Bewohner Fledermäuse, Skorpione, Spinnen, Zecken und Stechfliegen. Auf den kahlen Hängen wuchs nicht eine einzige Pflanze. Schlimmer noch, es gab kein Wasser; jeder Tropfen musste per Schiff herbeigeschafft werden. Da das Land mit Guano bedeckt war, arbeiteten, aßen und schliefen die Arbeiter auf den alten Exkrementen. Weil so wenig Regen fiel, wurden die löslichen Stoffe im Guano nie ausgewaschen – er blieb durchsetzt mit Ammoniakkristallen, die an den Schaufeln zu ätzenden Wolken zerbarsten. Pulverisiert und beißend landete der Guano in Loren, die Arbeiter über Schienen zu einem Lager oben auf einer Klippe an der Seeseite schoben. Von dort wurden die Exkremente tonnenweise durch einen langen Segeltuchschlauch direkt in die Bäuche der unten liegenden Schiffe geschüttet. Wenn die Ladung aus großer Höhe in die Frachträume stürzte, stieg aus den Luken Guanostaub auf und hüllte das Schiff in einen giftigen Nebel. Die Arbeiter trugen mit Teer verschmierte Hanfmasken, aber der Guano war, wie ein Besucher schrieb, «durch solche schwächlichen Abwehrmaßnahmen nicht zu beeindrucken … Sie sind nicht in der Lage, länger als zwanzig Minuten ohne Unterbrechung unten zu bleiben. Dann werden sie von einer anderen Gruppe abgelöst und erscheinen vollkommen nackt und schweißüberströmt an Deck, die braune Haut dick mit Guano bedeckt.» [445]
Der Staat hätte die Arbeiter sicherlich durch hohe Löhne dazu bewegen können, die entsetzlichen Bedingungen zu ertragen, aber das hätte die Profite geschmälert. Stattdessen schickte man
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