Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)
der Atmosphäre aus Stickstoffgas bestehen, ist Stickstoff aus Sicht der Pflanzen rar, denn das Gas besteht aus zwei Stickstoffatomen, die so eng zusammenhängen, dass die Pflanzen sie nicht voneinander trennen können, was sie müssten, um sie verwenden zu können. Infolgedessen nehmen die Pflanzen den Stickstoff aus dem Boden auf, wo sie ihn in Formen vorfinden, die sie zerlegen können: Ammoniak – NH 3 , also ein Stickstoff- und drei Wasserstoffatome –, Nitrite – Verbindungen, die NO 2 enthalten, ein Stickstoff- und zwei Sauerstoffatome – und Nitrate – Verbindungen mit der Gruppe NO 3 : ein Stickstoff- und drei Sauerstoffatome. Alle sind seltener, als den Bauern lieb ist, nicht zuletzt, weil Nitrate und Nitrite ständig von Bakterien verdaut werden, wodurch der Stickstoff in unbrauchbares Stickstoffgas rückverwandelt wird. Boden, der wiederholt landwirtschaftlich genutzt wird, droht immer Stickstoffentzug. [438]
Im Gegensatz zum Urin der Säugetiere ist Vogelurin ein halbfester Stoff. Dank dieses Unterschieds können Vögel regelrechte Urinklippen aufbauen, wozu Säugetiere, ausgenommen Fledermäuse, die in großen Kolonien Höhlen bewohnen, nicht in der Lage sind. Aber selbst bei Vögeln sind Guanoablagerungen wie auf den Chincha-Inseln – Hügel so hoch wie zwölfstöckige Gebäude – höchst ungewöhnlich. Dazu müssen die Tiere relativ groß sein, umfangreiche Schwärme bilden und koten, wo sie leben – Möwen zum Beispiel lassen ihren Dreck nie über ihrem Nistgebiet fallen. Außerdem muss das Gebiet so trocken sein, dass der Guano nicht weggewaschen wird. Im Meer vor der peruanischen Küste geht pro Jahr eine Regenmenge von lediglich zwei Zentimetern nieder. Die Chinchas, die wichtigsten der 147 Guanoinseln Perus, beherbergen Hunderttausende Guanokormorane, die ergiebigsten Guanoproduzenten. Nach der
Biogeochemistry of Vertebrate Excretion
, einer klassischen Abhandlung von G. Evelyn Hutchinson, beträgt die jährliche Absonderung eines Kormorans rund fünfunddreißig Pfund. Eine einfache Rechnung zeigt, dass allein die Chincha-Kormorane Tausende von Tonnen pro Jahr produzieren. [439]
Vor Jahrhunderten entdeckten die Menschen in den Anden, dass ausgelaugte Böden mit Guano gekräftigt werden konnten. Auf Lamapfaden wurden Körbe mit Chincha-Guano entlang der Küste und möglicherweise auch in die Berge transportiert. Die Inka unterteilten die Guanovorkommen in Parzellen, die einzelnen Dörfern zugeordnet wurden, und bestraften alle, die die Vögel während der Nistzeit störten oder sich Guano aus den Parzellen anderer Dörfer aneigneten. [440] Vom Glanz des Potosí-Silbers geblendet, kümmerten sich die Spanier nicht darum, was die eroberten Völker mit Vogelmist taten. Der erste Europäer, der sich ernsthaft für Guano interessierte, war der Universalgelehrte Alexander von Humboldt, der zwischen 1799 und 1804 den amerikanischen Kontinent bereiste. Humboldt, ein Pionier auf den Gebieten Botanik, Geographie, Astronomie, Geologie und Anthropologie, nahm alles, was ihm unterwegs begegnete, mit unstillbarer Neugier auf, einschließlich der Flotte von indigenen Guanobooten, die er an der peruanischen Küste entlangfahren sah: «Man riecht sie 1 / 4 Lieue weit, und man kann sich diesem Ammoniakgeruch nicht nähern, ohne beständig zu niesen.» Unter den Tausenden von Proben, die Humboldt nach Europa brachte, war auch ein wenig peruanischer Guano, den er zwei französischen Chemikern schickte. Ihre Analyse zeigte, dass Chincha-Guano elf bis siebzehn Prozent Stickstoff enthielt – genug, um die Pflanzenwurzeln zu verbrennen, wenn er nicht richtig angewendet wurde. Die französischen Wissenschaftler priesen sein Potenzial als Dünger. [441]
Nur wenige hörten auf ihren Rat. Um europäische Bauern mit Guano zu versorgen, hätte man große Mengen des Vogelmists über den Atlantik befördern müssen, eine Aussicht, die den Reedereien verständlicherweise wenig verlockend erschien. Doch binnen weniger Jahrzehnte veränderte sich das Bild. In ganz Europa begannen Agrarreformer sich zu sorgen, dass der immer intensivere Anbau, der erforderlich war, um die wachsende Bevölkerung zu ernähren, den Boden erschöpfen könnte. Als die Ernteerträge nicht mehr stiegen oder sogar zurückgingen, suchten sie nach einer Möglichkeit, dem Land Nährstoffe zuzuführen: Dünger.
Damals war der bekannteste Bodenzusatz Knochenmehl, das aus den Schlachthausüberresten hergestellt wurde. Riesige Mengen
Weitere Kostenlose Bücher