Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)
infestans
bedeutet so viel wie «beunruhigender Pflanzenzerstörer» – eine Bezeichnung, die nur zu berechtigt ist.
P. infestans
ist ein Eipilz, eine von rund siebenhundert Arten dieser Scheinpilze, wie sie auch genannt werden. Biologisch betrachtet, können Eipilze als Verwandte der Algen angesehen werden. Für einen Gärtner sieht
P. infestans
aus wie ein echter Pilz und verhält sich auch so. Er bildet winzige Kapseln mit sechs bis zwölf Sporen aus, die vom Wind davongetragen werden, meist nicht weiter als fünf bis sechs Meter, gelegentlich aber auch bis zu einem Kilometer. Wenn die Kapsel auf einer geeigneten Pflanze landet, zerplatzt sie und setzt sogenannte Zoosporen frei: bewegliche, zweischwänzige Zellen, die langsam durch die Feuchtigkeit auf dem Blatt oder dem Stängel schwimmen und nach den winzigen Spaltöffnungen, den Stomata, Ausschau halten. Wenn der Tag warm und feucht genug ist, keimen die Zoosporen und senden lange, fadenartige Filamente in das Blatt. Fortsätze der Filamente dringen in die Blattzellen ein und bringen deren Mechanismen unter ihre Kontrolle, sodass die Pflanze schließlich den Eindringling ernährt und nicht mehr sich selbst. Die ersten offensichtlichen Symptome – lila-schwärzliche oder -braune Flecken auf den Blättern – sind nach rund fünf Tagen zu erkennen. Dann ist es aber oft schon zu spät. Der Eipilz stellt bereits neue Sporenkapseln her.
Wasser ist ein Freund der Knollenfäule – auf trockenen Blättern können Zoosporen nicht keimen. Durch Regen werden die Sporen in den Boden gespült, dann können sie Wurzeln und Knollen bis in einer Tiefe von fünfzehn Zentimetern angreifen. Besonders anfällig sind die Kartoffelaugen.
P. infestans
führt den Angriff von außen nach innen, das heißt, sie verwandelt das äußere Fleisch der Kartoffel in trockenen, körnigen Moder von rotbrauner Färbung. Die Fortsätze der Fäule greifen wie dunkle Klauen nach dem Zentrum der Knolle. Da die Grenzen zwischen befallenem und gesundem Gewebe unscharf sind, muss in der Regel die ganze Kartoffel weggeworfen werden. Bei der Entsorgung ist Vorsicht geboten: eine einzige infizierte Knolle kann eine Million Sporen erzeugen. [458]
P. infestans
befällt Mitglieder der Familie der Nachtschattengewächse: Kartoffeln, Tomaten, Auberginen, Paprika und Unkraut wie den Argentinischen und den Bittersüßen Nachtschatten. Als die entsetzten Europäer zum ersten Mal das Desaster auf den Kartoffelfeldern erblickten, nahmen sie natürlich an, der Übeltäter käme aus Peru, dem Land der Kartoffeln. [459] Vor siebzig Jahren änderten sie ihre Meinung. In der Regel halten Biologen das Diversitätszentrum einer Art – die Region, in der sie die größte Formenvielfalt aufweist – für ihren Ursprung. In Mexiko gibt es Hunderte von Maisvarietäten, die sonst nirgends zu finden sind, woraus man schließt, dass die Art dort entstanden ist. Afrikaner sind genetisch vielfältiger als Weiße oder Asiaten; Afrika ist die Wiege der Menschheit. Und so fort. In Mexiko schien
P. infestans
eine größere Diversität aufzuweisen als irgendwo anders. Vor allem kommt die Art in zwei Formen vor – die man sich als männlich und weiblich vorstellen kannn, nur dass Eipilze keine Geschlechtsmerkmale haben –, in zwei Formen, die ihre DNA kombinieren und ein eiartiges Gebilde hervorbringen, die sogenannte Oospore. Mit anderen Worten,
P. infestans
kann sich ungeschlechtlich wie «geschlechtlich» fortpflanzen, wobei die Anführungsstriche daran erinnern sollen, dass diese Lebewesen weder männlich noch weiblich sind. [31] Aber nur in Mexiko pflanzte sich der Eipilz geschlechtlich fort, weil sonst überall auf der Welt eine der beiden Formen fehlte. Die Forscher vertraten die Auffassung, diese und andere Diversitätsmerkmale ließen darauf schließen, dass
P. infestans
in Mexiko entstanden ist [460] – obwohl es dort erst ab dem 18 . Jahrhundert Hinweise auf
S. tuberosum
gibt. Von Alexander von Humboldt, der Mexiko 1803 mit seiner Guanoprobe besuchte, stammt die erste zuverlässige Beobachtung einer Kartoffel in Mexiko. Humboldt nahm an, die Spanier hätten die Knolle aus den Anden eingeführt. [461] Geht man von dieser Theorie aus, gab es die Kraut- und Knollenfäule schon seit Jahrtausenden, bevor sie auf die Kartoffel traf. Ein letztes Detail: Da die Fäule erst in den Vereinigten Staaten und dann in Europa entdeckt wurde, nahmen einige Forscher an, sie habe sich zuerst in den USA ausgebreitet und sei
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