Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)
geworden, dass er ihn vor der Haustür auf der Straße abstellte. Angeblich setzte er ihm auch noch seinen Hut auf. «Einige der gesetzten Herren unter uns können sich noch erinnern», schrieb ein Kritiker später, «dass sich bei kaltem Wetter in den nächtlichen Schlachten ihrer Collegezeit ein steinharter Kautschukschuh als höchst wirksames Wurfgeschoss einsetzen ließ.» Die Kautschukhändler gingen in einer Flut zurückgeschickter Waren unter. Die öffentliche Meinung schwenkte um und wendete sich gegen den Kautschuk. [500]
1833 , kurz vor dem endgültigen Zusammenbruch, entwickelte Charles Goodyear, ein bankrotter Geschäftsmann, ein Interesse an Kautschuk, das zur regelrechten Besessenheit wurde. Es war charakteristisch für Goodyears unternehmerischen Instinkt, dass er ausgerechnet zu dem Zeitpunkt Investoren für sein Kautschuk-Venture suchte, als andere Geschäftsleute ihren Ausstieg aus dem Markt vorbereiteten. Einige Wochen, nachdem Goodyear bekanntgegeben hatte, dass er vorhabe, temperaturbeständigen Kautschuk herzustellen, kam er ins Schuldgefängnis. In seiner Zelle begann er mit der Arbeit, indem er kleine Kautschukteile mit einem Nudelholz zerquetschte. Er war gänzlich frei von chemischen Kenntnissen, aber von grenzenloser Entschlossenheit. Jahrelang klapperte Goodyear, bitterste Not leidend, den Nordosten der USA ab, seine hungrige Familie im Schlepptau, immer auf der Flucht vor Gerichtsvollziehern und auf der Suche nach Pfandleihen, in denen er Erbstücke versetzen konnte. In der Zwischenzeit hantierte er mehr oder minder auf gut Glück mit giftigen Chemikalien, immer in der Hoffnung, sie könnten den Kautschuk beständiger machen. Die Goodyears wohnten in einer aufgelassenen Kautschukfabrik auf Staten Island. Sie wohnten in einer aufgelassenen Kautschukfabrik in Massachusetts. Sie bewohnten eine Hütte in einem Viertel namens Sodom Hill – der Name lässt auf den Charakter der Nachbarschaft schließen. Sie wohnten in einer weiteren aufgelassenen Kautschukfabrik in Massachusetts. Manchmal gab es in den Häusern weder Heizung noch Essen. Zwei von Goodyears Kindern starben.
Angeregt von einem Traum, den ihm ein anderer Kautschuk-Besessener erzählt hatte, begann Goodyear Kautschuk mit Schwefel zu mischen. Nichts sei geschehen, sollte er später erzählen, bis ihm zufällig ein Klümpchen des mit Schwefel behandelten Kautschuks auf einen Holzofen gefallen sei. Zu seiner Überraschung schmolz der Kautschuk nicht. Die Oberfläche verkohlte, aber das Material im Inneren verwandelte sich in eine neue Art Kautschuk – Gummi, wie wir heute sagen –, die auch bei hohen Temperaturen ihre Form und Elastizität beibehielt. Goodyear machte sich daran, das Zufallsergebnis zu wiederholen, eine Aufgabe, die dadurch behindert wurde, dass er sich keine Laborausrüstung leisten konnte – er musste von einem Nachbarn zum andern laufen und fragen, ob er ihre Holzöfen benutzen dürfe. Manchmal klappte die Schwefelbehandlung, manchmal nicht. Unermüdlich setzte Goodyear seine Arbeit fort – frustriert, hungrig, besessen. Als er erneut ins Schuldgefängnis geworfen wurde, schrieb er aus seiner Zelle an Bekannte und bat sie um Unterstützung, «damit ich auf der Stelle meine Kautschukfabrik errichten kann». Schließlich lieh er sich Geld und bezahlte seine Schulden. Einen Monat später befand er sich in einem anderen Gefängnis.
Unterdessen hatte er sich mit einem jungen Engländer angefreundet. Goodyear gab ihm einige seiner erfolgreichen Proben und forderte ihn auf, sich in Großbritannien nach Investoren umzusehen. Auf verschlungenen Wegen gelangten zwei dünne, vier Zentimeter lange Streifen von Goodyears verarbeitetem Kautschuk im Herbst 1842 ins Labor von Thomas Hancock, einem Ingenieur in Manchester, der einen Prozess zur Behandlung von Kautschuk entwickelt hatte. Hancock hatte keine Ahnung, woher diese beiden Kautschukreste stammten. Doch er bemerkte sehr rasch, dass sie weder bei Wärme schmolzen noch bei Kälte steif wurden. Die Frage lautete, ob sich dieses Ergebnis wiederholen ließ. Es ist nicht ganz klar, ob er von Goodyears Proben lernte. Später behauptete er, er habe «von diesen kleinen Stücken keine Analyse angefertigt» – was ein bemerkenswerter Beweis für mangelnde Neugier wäre, wenn es denn stimmen würde. Auf jeden Fall war Hancock organisierter und kundiger als Goodyear und hatte eine bessere Ausrüstung. Anderthalb Jahre lang führte er systematisch Hunderte kleiner
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