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Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)

Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)

Titel: Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles C. Mann
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ausrichten, parallel wie trockene Spaghetti in einer Schachtel. Wenn sich die Moleküle glätten, entfalten sie sich aus dem verflochtenen Zustand zu ihrer ganzen Länge – dieser Vorgang ermöglicht dem Kautschuk die Streckung. Im Gegensatz dazu sind die Kupfermoleküle in einem Draht bereits gleichmäßig aufgereiht, sodass es für das Material sehr viel schwieriger ist, sich zu strecken. Den Unterschied können Sie sich wie folgt vorstellen: Sie ziehen an den Enden einer losen, verknäulten Schnur oder Sie versuchen eine vollkommen auseinandergezogene Schnur zu dehnen. Die Energie, die erforderlich ist, um die Ketten gerade zu ziehen, ist der Grund, warum sich der Kautschuk bei Dehnung erwärmt. Sobald der Zug nachlässt, beginnen die Kautschukmoleküle wieder, sich willkürlich zu bewegen, wodurch sie sich, ihrer natürlichen Neigung folgend, erneut verknäulen; der Kautschuk schrumpft auf seine ursprüngliche Größe. [503]
    Wird ein Klumpen Naturkautschuk erwärmt, geraten die Kautschukketten in Schwingung und verflechten sich auf jede denkbare Weise miteinander, sodass ihre Anordnung noch chaotischer wird; der Kautschuk verliert jegliche Form und verwandelt sich in eine Pfütze. Das wird durch die Vulkanisierung verhindert. Beim Eintauchen des Kautschuks in Schwefel wird eine chemische Reaktion ausgelöst, durch die sich die Kautschukmoleküle mittels chemischer «Brücken» aus Schwefelatomen miteinander verknüpfen. Diese Bindungen sind so allgegenwärtig, dass ein Gummiband – eine Schleife vulkanisierten Kautschuks – tatsächlich ein einziges riesiges und querverbundenes Molekül bildet. Derart stabilisierte Moleküle sind in höherem Maße veränderungsresistent: schwerer auszurichten, schwerer zu verknäulen, widerstandsfähiger gegen extreme Temperaturen. Aus Naturkautschuk wird plötzlich Gummi, ein beständiges Material.
    Die Auswirkung der Vulkanisierung war weitreichend: Der aufblasbare Gummireifen – entscheidend für die Durchsetzung des Fahrrads wie des Automobils – ist das bekannteste Beispiel. Doch das Gummi ermöglichte auch die Elektrifizierung: Versuchen Sie sich ein modernes Gebäude ohne Isolierung seiner elektrischen Leitungen vorzustellen. Oder was wäre mit Geschirrspülern, Waschmaschinen und Wäschetrocknern ohne die Keilriemen, die die Bewegung der Motoren auf die Geräte selbst übertragen. Ebenso wichtig, wenn auch weniger sichtbar: Jeder Verbrennungsmotor enthält viele Schläuche und Ventile, die, gewöhnlich unter Druck, Wasser, Öl, Benzin und Abgase leiten. Wenn die Teile nicht perfekt passen, besteht die Gefahr, dass an den Verbindungen infolge der Motorschwingungen gefährliche Flüssigkeiten oder Gase entweichen. Fast unsichtbar füllen flexible Gummidichtungen diese Fugen. Ohne sie würde aus jeder Heizungsanlage durch frei werdende Abgase von Erdgas, Heizöl oder Kohle eine potenzielle Todesfalle. [504]
    «Drei grundlegende Materialien waren für die industrielle Revolution erforderlich», sagte mir Hecht, die Geographin von der University of California in Los Angeles, «Stahl, fossile Brennstoffe und Gummi.»
    Die in rascher Industrialisierung begriffenen Staaten Europas und Nordamerikas hatten mehr als ausreichenden Zugang zu Stahl und fossilen Brennstoffen. Weshalb es umso wichtiger war, für eine ausreichende Versorgung mit Kautschuk zu sorgen.
    «Die Schöne im Schaumwein»
    In meinem Wohnzimmer hängt ein Porträt, das entweder den Onkel meiner Großmutter oder ihren Urgroßonkel zeigt. Beide Männer hießen Neville Burgoyne Craig. Mein Großvater, der das Gemälde bei einem Trödler aufstöberte, hielt es für das Konterfei des älteren Craig ( 1787 – 1863 ), des Gründers und Redakteurs der ersten Tageszeitung in Pittsburgh. Doch da das Bild im Stil des ausgehenden 19 . Jahrhunderts gemalt ist, dürfte es eher den jüngeren Craig ( 1847 – 1926 ) zeigen, einen Ingenieur, der eine Woche nach seinem einunddreißigsten Geburtstag ein Schiff bestieg, das ihn zum Amazonas brachte. Er wollte ein Vermögen mit Kautschuk machen.
    Dabei wollte Craig nicht unmittelbar mit Kautschuk handeln, sondern am Bau einer Eisenbahnstrecke mitwirken, die für den Kautschuktransport bestimmt war. Damals wie heute war die Hauptquelle für Naturkautschuk der Latex von
Hevea brasiliensis
. Der im Amazonasbecken heimische Baum kommt besonders häufig im Grenzland zwischen Brasilien und Bolivien vor. [505] Die diesem Gebiet am nächsten liegenden Häfen befinden sich jenseits

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