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Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)

Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)

Titel: Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles C. Mann
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der Anden an der Pazifikküste. Um den Kautschuk dort zu verschiffen, hätte man ihn über das hohe, eisbedeckte Gebirge transportieren müssen. Danach hätte er eine lange und gefährliche Seereise von weit über 10 000  Meilen nach England angetreten, um die stürmische Südspitze Amerikas herum. Tatsächlich war die gesamte Route so schwierig, dass der Sekretär der Royal Geographical Society 1871 ausrechnete, es würde viermal so schnell gehen, den Kautschuk aus dem westlichen Amazonasgebiet über den Rio Madeira zum Amazonas selbst und von dort zum Atlantik zu transportieren. Das Problem bestand darin, dass Wasserfälle und gefährliche Stromschnellen einen 366  Kilometer langen Abschnitt des Madeira blockierten. Westlich von dieser Strecke lagen eine lange schiffbare Flussstrecke in Bolivien und riesige Vorkommen an Kautschuk und anderen wertvollen Gütern. Am unteren Ende des unpassierbaren Flussabschnitts befand sich das brasilianische Dorf Santo Antônio. Mein Vorfahr reiste nach Santo Antônio, um eine Eisenbahnstrecke zur Umgehung der Stromschnellen zu bauen. [506]
    Craig wurde in Pittsburgh geboren und studierte Ingenieurswissenschaft an der Yale University. Er war ein ausgezeichneter Student, der zwei Mathematikpreise der Universität gewann und noch vor seinem Examen eine Stellung bei der US -amerikanischen Küsten- und Vermessungsbehörde bekam. Fünf Jahre später trat er, auf der Suche nach etwas mehr Abwechslung, bei P. & T. Collins ein, einer in Philadelphia ansässigen Eisenbahnbaugesellschaft, die von der bolivianischen Regierung beauftragt worden war, die Madeira-Bahn zu bauen. Die beiden Collins-Brüder waren offensichtlich der Meinung, ihre beträchtliche Erfahrung mit dem Eisenbahnbau mache ihre mangelnde Kenntnis des Amazonasgebietes mehr als wett. Im Januar 1878 schickten sie zwei Schiffe voller eifriger Ingenieure und Arbeiter von Philadelphia aus auf die Reise. Craig befand sich auf dem ersten Schiff. [507]
    Neville B. Craig
    Wie er später in seinen Erinnerungen berichtete, gerieten sie in heftige Winterstürme. Der zweite und leider weit weniger seetüchtige Dampfer erlitt hundertsechzig Kilometer südlich von Jamestown, Virginia, Schiffbruch. Mehr als achtzig Menschen ertranken. Die Firma hatte Mühe, die verlorenen Männer zu ersetzen – die Einwohner Philadelphias, von dem Unglück geschockt, hatten alle Begeisterung für das Abenteuer verloren. Schließlich stellte Collins neue Arbeitskräfte «aus den Elendsquartieren mehrerer großer Städte im Osten ein», um aus Craigs Buch zu zitieren, Menschen, «die durch Gestalt, Mienenspiel und Gestik einen schlagenden Beweis für die Richtigkeit der Darwin’schen Theorie lieferten». Die meisten waren Einwanderer aus Süditalien, von denen viele wegen ihrer anarchistischen Überzeugungen aus ihrer Heimat vertrieben worden waren. Wie die abfällige Bemerkung meines Vorfahren zeigt, waren antiitalienische Vorurteile damals sehr verbreitet; folglich suchten diese frischgebackenen Amerikaner verzweifelt nach Arbeit. Die Brüder Collins machten sich diese Verzweiflung zunutze, indem sie den neuen Arbeitskräften schlechtere Verträge gaben als den Arbeitern auf dem ersten Schiff – sie sollten nur 1 , 50  Dollar pro Tag bekommen statt zwei Dollar. Offenbar war den Brüdern nicht klar, dass die Anarchisten diese Ungleichbehandlung entdecken beziehungsweise inakzeptabel finden würden.
    Inzwischen fuhr Craig mit dem Dampfschiff den Amazonas und Madeira hinauf bis zur geplanten Eisenbahnendstation Santo Antônio und machte sich daran, die Trasse zu vermessen. Vom Schicksal der Männer auf dem zweiten Schiff erfuhr er erst, als die Italiener erschienen, die die Toten ersetzten. Gleichzeitig fanden die Italiener heraus, dass sie weniger Lohn erhielten als alle anderen. Schon nach wenigen Tagen traten sie in Streik. Die Ingenieure, unter ihnen auch Craig, bauten aus den für den Gleisbau bestimmten Stahlschienen einen Käfig und ließen die Streikenden mit vorgehaltener Waffe hineinklettern. Bei der Lektüre von Craigs Erinnerungen wartete ich vergebens auf das Eingeständnis, dass die Festsetzung der Arbeiter sich negativ auf den Zeitplan ausgewirkt habe. Doch schließlich gingen die Streikenden wieder an die Arbeit und machten sich lustlos an die Rodung des Waldes. Einige Wochen später flohen «fünfundsiebzig oder mehr» in Richtung Bolivien. Keiner schaffte es, vielleicht, weil – wie Craig makaber spekulierte – sie «dazu

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