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Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)

Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition)

Titel: Kolumbus' Erbe: Wie Menschen, Tiere, Pflanzen die Ozeane überquerten und die Welt von heute schufen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles C. Mann
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Rest Brasiliens; unglaublich, aber wahr: von Belém aus segelte man schneller nach Lissabon – eine Strecke von 3200 Seemeilen – als nach Rio de Janeiro, das 2200 Seemeilen entfernt war. Infolgedessen war die Bevölkerung der Stadt nie auf mehr als 25 000  Menschen angewachsen. Der Kautschukboom ermöglichte Belém, das zu werden, wovon die Optimisten Amazoniens schon lange träumten: das Wirtschaftszentrum einer prosperierenden Region.
    Überzeugt davon, dass sie im Begriff war, das Paris Amerikas zu schaffen, leistete sich Beléms neureiche Kautschukelite Kopfsteinpflaster, Straßencafés, europäisch anmutende Promenadenparks und künstlerisch gestaltete Herrenhäuser, deren extrem hohe, schmale Fenster die Luftzirkulation förderten – ein Zugeständnis an die Tropen. Der Mittelpunkt des gesellschaftlichen Lebens war das neoklassizistische Teatro de Paz, wo Kautschukbarone in ihren Logen Zigarren rauchten und Cachaça tranken, den in Brasilien sehr beliebten Zuckerrohrschnaps. Hohe Mangobäume warfen Schatten auf die Boulevards, die zum Hafen führten, wo Kolonnen von Arbeitern die flussaufwärts entsandten Kautschukballen aufschlitzten und nach Steinen und Holzkloben suchten, die manchmal hineingeschmuggelt wurden, um mehr Gewicht zu schaffen. Nach der Inspektion gelangte der Kautschuk in eines der riesigen Lagerhäuser, die die Küste wie schlafende Meeresungeheuer säumten. Der Kautschuk sei überall, schrieb ein Besucher 1911 , «auf den Bürgersteigen, auf den Fahrbahnen, auf Lastwagen, in den großen Lagerhäusern und in der Luft (zumindest sein Geruch)». Tatsächlich ging von dem Kautschukbezirk ein solcher Gestank aus, dass die Einwohner Beléms behaupteten, sie könnten an der Intensität des Geruchs erkennen, in welchem Teil der Stadt sie sich befänden. [517]
    Belém war Bank und Versicherungsgesellschaft des Kautschukhandels, doch der Hauptumschlagplatz war die Ortschaft Manaus. Gut 1300 Kilometer im Landesinneren gelegen, dort, wo sich zwei große Flüsse zum eigentlichen Amazonas vereinigen, war sie eine der abgelegensten Städte der Erde. Zugleich war sie eine der reichsten. Schrill, hedonistisch und überwältigend erstreckte sich Manaus über vier Hügel am Nordufer des großen Stroms. Auf der Kuppe des einen Hügels lag die Kathedrale, ein von Jesuiten errichtetes Bauwerk von solcher Schmucklosigkeit, dass es wie eine Kritik an dem monströs überladenen Bau wirkte, der den nächsten Hügel beherrschte – das Teatro Amazonas, ein Irrsinn aus Carraramarmor, venezianischen Lüstern, Straßburger Kacheln, Pariser Spiegeln und Glasgower Eisenornamenten. 1897 fertiggestellt und als Opernhaus geplant, war es ein ökonomischer Schildbürgerstreich: Der Zuschauerraum hatte nur 658  Sitze, nicht genug, um die Kosten für importierte Musiker hereinzuholen, von den Baukosten gar nicht zu reden. Breite, steingepflasterte Bürgersteige mit wellenförmigen Schwarz-Weiß-Mustern führten durch ein Gewirr von Bordellen, Kautschuklagerhäusern und neureichen Villen hinab zur Hafenanlage: zwei riesigen Pontons, die sich auf Hunderten von Holzstämmen mit dem Fluss hoben und senkten. Gouverneur Eduardo Ribeiro pushte die Stadt mit allen Mitteln: Die Straßen ließ er in einem modernen Koordinatensystem anlegen und mit Steinen aus Portugal pflastern – im Amazonasgebiet gibt es kaum welche –, er beaufsichtigte persönlich den Bau des damals modernsten Straßenbahnnetzes der Welt, mit vierundzwanzig Kilometern Gleisstrecke, und veranlasste den Bau von drei Krankenhäusern: eines für Europäer, eines für psychisch Kranke und eines für alle anderen. Als glühender Anhänger städtischen Lebens nahm Ribeiro an allem teil, was Manaus zu bieten hatte, einschließlich seiner sybaritischen Lagerhäuser – in einem von ihnen starb er während einer Orgie, die der Historiker John Hemming diskret als «Lustbalgerei» bezeichnete.
    Die vielen Bordelle der Stadt waren überwiegend für Kautschukzapfer und Aufseher bestimmt, die nach Monaten harter Arbeit an weit entfernten Nebenflüssen in Manaus einfielen. Die Besitzer und Verwalter hatten Mätressen, mit denen sie sich auf jene dekadente Weise amüsierten, die damals in Mode war. «Einmal knieten die Gäste nieder, um den Champagner aus der Badewanne der nackten Schönheit Sarah Lubousk aus Triest zu schlürfen», schrieb Hemming in
Tree of Rivers
, einer opulenten Geschichte der Region. «Die Schöne im Schaumwein», wie Hemming sie nannte, war die

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