Kolumbus kam als Letzter
Massenvernichtungsaktion auf ein paar fanatisierende Predi-
ger reduziert wird (vgl. Mayer, 2000, S. 42). Die geistigen Verren-
kungen, um die Papstkirche von der historischen Verantwortung für
die Pogrome und deren Drahtzieherei freizusprechen, werden
allerdings relativiert: »Daneben ist aber im Sinne von Riley-Smith
(1984) wirklich zu bedenken, dass den Kreuzfahrern ein mobilisie-
rendes Feindbild fehlte und man zunächst die Juden substituierte
…« (Mayer, 2000, S. 43)
Hier kann man zustimmen, denn es gab gar keine näher liegenden
Feindbilder als die Ketzer in Europa, zu denen auch und gerade die christlichen Freidenker sowie die geistig religiös verwandten Juden
in Europa gehören, deren geistige Bewegung zugunsten des Uni-
versalanspruchs der katholischen Kirche ausgelöscht werden muss-
te. Die Kreuzzüge waren nur vordergründig religiös, aber im Kern
insbesondere politisch, sozial und wirtschaftlich motiviert.
Die Verfolgung der Juden setzte sich fort. Seit dem 13. Jh. wurden
sie durch den Zwang zum Tragen von Judenhüten und speziellen
Abzeichen wie dem Judenfleck stigmatisiert und ausgegrenzt. Mitte
135
des 14. Jhs. löste die mit der Katastrophe einhergehende Pest wei-
tere Vertreibungen und Pogrome aus. Mit Beginn der Reformation
intensivierte sich die religiös inspirierte Verfolgung (vgl. »Lexikon der deutschen Geschichte«, S. 255).
Wen hatte die katholische Kirche denn überhaupt zu fürchten?
Warum musste die Kirche im Mittelalter Kreuzzüge propagieren
und ausrüsten oder Kriege gegen Ungläubige oder Ketzer unter-
stützen? »Keine Religion auf Erden hat … so viele dogmatische
Kämpfe und Glaubenskriege aufzuweisen wie das Christentum«,
schreibt der Religionshistoriker Helmuth von Glasenapp (1993, S.
316). Wenn die katholische Kirche als solche erst nach den ersten
Kreuzzügen in Avignon formal definiert und begründet wurde, sind
die ersten Kreuzzüge als Bereicherungs- und Eroberungskriege der
neuen Feudalherren zu sehen. Denn die weltlichen Herrscher waren
zu Beginn der Umbruchphase in Personalunion oft gleichzeitig die
kirchlichen Oberhäupter.
Der Aufstieg der Kirche mit dem Beginn des Babylonischen Exils
der Kirche in Avignon im Jahre 1309 korrespondiert zeitlich mit
der Verhaftung der französischen Templer im Jahre 1307 und der
Aufhebung des Templerordens durch Papst Klemens V. im Jahre
1312. Die Zerschlagung des Templerordens in Frankreich scheint
mit dem Aufstieg der katholischen Kirche zusammenzuhängen –
oder kann man die Papstkirche sogar als wirtschaftlichen Erben des
Templerordens ansehen? Wurde die als gleichmäßiges Netzwerk
aufgebaute Infrastruktur (Komtureien) der Templer von der Kirche
für ihre Machtentfaltung genutzt, indem sie diese durch ihre radi-
kalen Mönchsorden zu Klöstern umfunktionieren ließ? Ist so der
rasante Aufstieg der Papstkirche in Mitteleuropa nach einer Phase
der Bedeutungslosigkeit und inneren Zerstrittenheit (Abendländi-
sches Schisma) zu erklären?
Rafael Alarcón Herrera stellt eine umfangreiche Liste von Templer-
Heiligen vor, die der schriftlichen Vernichtung entgangen sind, und
beschreibt anschaulich, wie sie schrittweise in Heilige der katholi-
schen Kirche umgewandelt wurden (Herrera, 2002).
Etikettenschwindel und die Vernichtung alter Schriftstücke war ein
lebensnotwendiger Handlungszwang der sich im 12. Jh. erst lang-
136
sam etablierenden katholischen Kirche. Denn ansonsten wäre do-
kumentiert, dass Europa bereits christlich missioniert war, u.a.
durch iro-schottische Mönche.
Irische Christianisierung
Iro-schottische Wandermönche prägten als Vorstreiter eines christ-
lich-keltischen Freidenkerglaubens und als Gelehrte unsere abend-
ländische Kultur. Allerdings ist es erstaunlich, wie wenig ihre viel-fältigen Aktivitäten ins allgemeine Bewusstsein gedrungen sind.
Bis zum 12. Jh. verstand man unter Schotten (Skoten) allgemein die Iren, die einerseits auf der irischen Insel ( Scotia major = Groß-Skotenland) als auch der britischen Gegenküste (später County Argyll)
siedelten ( Scotia minor – Klein-Skotenland). Erst mit der Vereinigung von Skoten und Pikten um 846 zu einem schottischen Groß-
reich beschränkte sich die Bezeichnung Schotten auf das neue Staatsvolk, die Pikten einschließend.
Auf einem Symposium in Dublin fassten Keltologen ihre Arbeits-
ergebnisse wie folgt zusammen:
»Kein europäisches Volk hat allein mit den überlegenen Mitteln
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