Kolumbus kam als Letzter
sein erfolgreiches Bestreben, die Schriften
antiker Autoren aufzuspüren, zu übersetzen und durch kritische
Ausgaben wissenschaftlich aufzuarbeiten. Die humanistische Be-
wegung in Italien wurde durch die Fürstenhöfe und von der Kirche
gefördert. Durch die Konzile von Konstanz (1414-18) und Basel
(1431-49) breitete sich die neue Strömung – mit Erasmus von
Rotterdam als führendem Kopf – auch in den übrigen europäischen
Ländern aus.
Es steht inzwischen fest, dass Humanisten nicht nur antike Schrift-
steller erfanden, sondern auch antike Kunstwerke fälschten. Die
Frechheit, mit der diese Fälscher ans Werk gingen und die antike
sowie die mittelalterliche Geschichte erdachten und verbreiteten,
konnte jedoch nur funktionieren, wenn ihre Arbeiten nicht durch
gegenteilige Schriften oder Beweisstücke der Unglaubwürdigkeit,
ja Lächerlichkeit preisgegeben werden konnten. Als notwendige
Voraussetzung muss deshalb zuvor ein totaler Schnitt von unge-
heurer Schärfe passiert sein. Nicht nur die Geschichte war jung-
fräulich entstanden, sondern auch das technische Wissen wurde
wieder neu entwickelt, da fast alles an technischem Können, das die
Antike ehedem beherrscht hatte, vernichtet war. Übrig blieben zum
Beispiel wenige alte Karten, die technisch hochwertig erstellt waren und auch Amerika als Erdteil, eine Landbrücke zwischen Sibirien
und Alaska (Beringstraße) oder aber die eisfreien Gebiete Grön-
lands und der Antarktis zeigten, während die nach der Katastrophe
neu gezeichneten Karten sehr ungenau waren, da man nicht mehr in
der Lage war, die geographische Länge zu bestimmen.
Wahrscheinlich waren es zwei Katastrophen, die diesen scharfen
Schnitt hervorgerufen haben. Die überregional wirkende Naturka-
tastrophe im 6. Jh. – unter Berücksichtigung der Phantomzeiten im
9. Jh. anzusetzen – beendete die Antike und verwandelte die noch
existierenden antiken Städte in Ruinen. Im 10. Jh. beginnt die uns
aus dieser Zeit nur in Fragmenten bekannte Geschichte, da um
1350 mit der Naturkatastrophe und einhergehenden Pest wieder ein
scharfer, vielleicht ein sogar noch schärferer Einschnitt erfolgte.
Die antike Geschichte war danach vielleicht noch durch Überliefe-
180
rungen bekannt, wurde aber quasi neu verfasst und im Sinne der ei-
genen Interessen umgeschrieben und zur Befriedigung der eigenen
Machtinteressen größtenteils neu erfunden.
Der Extremfall wäre, wie Kammeier es wohl sieht, dass die euro-
päische, insbesondere die deutsche Geschichte zwischen 1350 und
1450 verfälscht und zahlreiche Fälschungen im Rahmen einer Gro-
ßen Aktion zugunsten der katholischen Kirche, aber auch zugunsten der weltlichen Herrscher vorgenommen wurden.
Kammeier (2000) zitiert deutsche Königsurkunden des 10. und 11.
Jh. aus dem Archiv für Urkundenforschung: »Wo eine vom Könige
geschenkte Besitzung nach Gau und Grafschaft, die durch den
Namen des Grafen bezeichnet wurde, bestimmt wird, ist sehr häu-
fig für den Namen des Grafen … ursprünglich eine Lücke gelassen,
die erst nachträglich ausgefüllt wurde.«
Herwig Wolfram (1987) stellt klar: »Vor dem Ende des 10. Jhs. ge-
schah nirgendwo … eine österreichische Geschichte … Es gibt
keine frühmittelalterliche Geschichte Österreichs … Dieses Pro-
blem ist freilich keine österreichische Besonderheit.« Mit anderen
Worten, die Geschichte Mitteleuropas vor dem Jahr 1000 liegt un-
erkannt, nur bruchstückhaft erhellt im Dunkel der Vergangenheit.
Aber man zählt doch in Jahren nach Christi Geburt, und die Jah-
reszahlen stehen doch fest, oder?
Späte Jahreszählung n. Chr.
Angeblich wurde die Jahreszählung nach Christi Geburt im Jahr
525 durch Abt Dionysius Exiguus eingeführt. Es bleibt umstritten, wann die Jahreszählung nach Christi Geburt (AD-Jahreszählung)
exakt eingeführt wurde, denn die ersten urkundlichen Datierungen
tauchen (erst) in der frühen Kaiserzeit auf. Fest steht, dass in vielen Urkunden des 10. Jhs. die Datumszeilen überarbeitet worden sind,
wie Harry Bresslau (1968/69, II, S. 393-174) in dem »Handbuch
der Urkundenlehre« feststellt.
Wann auch immer die Jahreszählung nach Christi Geburt begon-
nen wurde, im ersten Jahrtausend rechnete und datierte keiner
181
nach dieser AD-Jahreszählung, auch Karl der Große nicht! Es
könnte sein, dass nach der ersten Naturkatastrophe eine erste Fäl-
schungswelle in mehr schlecht als recht koordinierter Form und im
11. Jh.
Weitere Kostenlose Bücher