Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)
haben …«
Das hydraulische Schnaufen von Bremsen, die entlastet wurden, war zu hören, dann das Knarren des Sessels, in dem Silje Gravseng gesessen hatte, und das Knallen der Tür, durch die sie nach draußen gestürmt war.
Krohn saß lange mit gesenktem Haupt da. Als er den Kopf wieder hob, hatte er seinen Blick auf Harry Hole gerichtet.
»Es tut mir sehr leid«, sagte er. »Als Verteidiger müssen wir damit rechnen, dass unsere Klienten lügen, um sich selbst zu schützen. Aber das hier … Ich hätte die Situation wirklich besser einschätzen müssen.«
Harry zuckte mit den Schultern. »Sie kennen sie ja nicht.«
»Nein«, sagte Krohn. »Aber ich kenne Sie, Hole. Das sollte ich nach so vielen Jahren auf jeden Fall. Ich werde Fräulein Gravseng dazu bringen, diese Vereinbarung zu unterzeichnen.«
»Und wenn sie das nicht will?«
»Dann werde ich ihr die Konsequenzen einer Falschaussage klarmachen. Und eines offiziellen Verweises von der PHS . Sie ist nicht dumm, das wissen Sie ja selbst.«
»Das weiß ich«, sagte Harry, seufzte und stand auf. »Das weiß ich.«
Draußen floss der Verkehr wieder.
Harry und Arnold gingen über die Karl Johans gate.
»Danke«, sagte Harry. »Ich frage mich wirklich, wie du das so schnell erkannt hast.«
»Ich habe eine gewisse Erfahrung mit OKS «, sagte Arnold lächelnd.
»Wieso?«
»Obsessive Kompulsive Störung. Wenn eine Person mit einer solchen Neigung sich für etwas entschieden hat, scheut sie keine Mittel. Dann wird die Handlung als solche wichtiger als die Konsequenzen.«
»Ich weiß, was OKS ist, ein Freund von mir ist Psychologe. Er hat auch mir Züge davon attestiert. Aber ich meine, dass dir gleich klar war, dass wir einen Zeugen brauchen und dann sofort zur Kriminaltechnik müssen.«
Arnold Folkestad lachte leise. »Ich weiß nicht, ob ich dir das erklären kann, Harry.«
»Warum nicht?«
»Na ja, sagen wir mal, dass ich in einer ähnlichen Situation war, als zwei Polizisten riskierten, von einem Mann angezeigt zu werden, den sie aufs brutalste zusammengeschlagen hatten. Aber sie kamen ihm durch eine unserer nicht unähnlichen Aktion zuvor. Die Beweise waren damals manipuliert und die echten Beweise von einem der beiden zu Ungunsten des Verletzten vernichtet worden. Sie hatten schließlich so viel in der Hand, dass der Anwalt des Verletzten ihm geraten hat, die Anzeige fallenzulassen, weil sie doch keine Chance hätten. Ich habe eigentlich fast damit gerechnet, dass es hier genauso laufen könnte.«
»Das hört sich jetzt so an, als hätte ich sie wirklich vergewaltigt, Arnold.«
»Tut mir leid.« Arnold lachte. »Aber ich habe fast damit gerechnet, dass so etwas geschehen könnte. Dieses Mädchen ist eine tickende Zeitbombe, sie hätte eigentlich schon durch unsere psychologischen Aufnahmetests aussortiert werden müssen.«
Als sie über den Egertorget gingen, flimmerten Bilder durch Harrys Kopf. Das Lächeln einer Jugendliebe irgendwann im Mai. Die Leiche eines Heilsarmeesoldaten vor einer weihnachtlichen Straßenküche. Eine Stadt voller Erinnerungen.
»Und wer waren die beiden Polizisten?«
»Hohe Tiere.«
»Deshalb willst du es mir nicht sagen? Weil du Teil dieses Komplotts warst? Schlechtes Gewissen?«
Arnold Folkestad zuckte mit den Schultern. »Jeder, der sich nicht für die Gerechtigkeit einsetzt, sollte ein schlechtes Gewissen haben.«
»Hm. Ein gewalttätiger Polizist mit dem Hang, Beweise zu vernichten. Da kommen nicht so viele in Frage. Wir reden nicht zufällig über einen Kommissar namens Truls Berntsen?«
Arnold Folkestad sagte nichts, aber das Zucken, das durch seinen runden Körper ging, war Harry Antwort genug.
»Der Schatten von Mikael Bellman. Den meinst du mit hohes Tier, nicht wahr?« Harry spuckte auf den Asphalt.
»Können wir über etwas anderes reden, Harry?«
»Ja, tun wir das. Was hältst du von Lunch im Schrøder?«
»Im Schrøder? Kann man da essen?«
»Frikadellen und Brot, und viel Platz hat man auch.«
»Das sieht bekannt aus, Nina«, sagte Harry zu der Bedienung, die gerade zwei verbrannte Frikadellen unter bleichen Zwiebeln auf einer Scheibe Brot vor sie gestellt hatte.
»Hier ist immer alles wie immer, das weißt du doch«, sagte sie lächelnd und ging.
»Truls Berntsen, ja«, sagte Harry und blickte sich um.
Er und Arnold waren beinahe allein in dem einfachen, viereckigen Lokal, das trotz des jahrelangen Rauchverbots noch immer ziemlich verraucht wirkte. »Wenn du mich fragst, hat er jahrelang
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