Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)
fünf haben, kannst du ja die ganze Kontaktliste deines Telefons einladen.«
Er lachte. Vielleicht ging es ja doch gut. Natürlich konnte es immer Krisen geben, aber es könnte auch gutgehen.
»Und wenn du an Oleg als Trauzeugen denkst, vergiss es, der ist schon verplant«, sagte sie.
»Verstehe.«
Harry parkte vor dem Abflugterminal und küsste Rakel, während die Heckklappe noch offen stand.
Auf dem Rückweg rief er Øystein Eikeland an. Harrys taxifahrender Verbündeter und einziger Jugendfreund hörte sich verkatert an. Auf der anderen Seite wusste Harry nicht, wie er sich anhörte, wenn er nicht verkatert war.
»Trauzeuge? Verdammt, Harry, ich bin gerührt. Dass du ausgerechnet mich fragst. Fett, echt. Verdammt fett.«
»Der einundzwanzigste Juni, was sagt dein Kalender da?«
Øystein amüsierte sich und musste husten. Dann war das Glucksen einer Flasche zu hören. »Echt gerührt, Harry. Aber die Antwort ist Nein. Du brauchst jemanden, der aufrecht in der Kirche stehen und beim Essen einigermaßen verständlich reden kann. Und was ich brauche, ist eine nette Tischdame, gratis Trinken und keine Verantwortung. Ich verspreche auch, mich in den feinsten Zwirn zu werfen, den ich habe.«
»Lüge, du hast noch nie einen feinen Zwirn getragen, Øystein.«
»Deshalb ist der ja auch noch so gut in Schuss. Kaum gebraucht. Dem geht’s auch nicht anders als deinen Freunden mit dir. Du könntest dich ruhig öfter mal melden.«
»Hm, könnte ich.«
Sie legten auf, und Harry schlich weiter in Richtung Zentrum, während er die kurze Liste der anderen möglichen Kandidaten durchging. Eigentlich kam nur eine in Frage. Er wählte Beate Lønns Nummer. Nach fünfmaligem Klingeln meldete sich die Mailbox, und er hinterließ eine Nachricht.
Die Schlange der Autos kam nur langsam vorwärts.
Er rief Bjørn Holm an.
»Hej, Harry!«
»Ist Beate schon da?«
»Die ist krank heute.«
»Beate? Die ist doch nie krank. Erkältet?«
»Keine Ahnung. Sie hat Katrine heute Nacht eine SMS geschickt. Krank . Weißt du schon über die Sache in Berg Bescheid?«
»Oh, die hatte ich ganz vergessen«, log Harry. »Und?«
»Er hat nicht zugeschlagen.«
»Schade. Aber ihr müsst dranbleiben. Dann versuche ich es bei ihr zu Hause.«
Harry legte auf und wählte Beates Festnetznummer.
Als es zwei Minuten geklingelt hatte, ohne dass der Hörer abgenommen worden war, sah er auf die Uhr. Bis zur Vorlesung hatte er noch reichlich Zeit. Oppsal lag auf dem Weg, und er brauchte nicht viel Zeit für den kleinen Schlenker. Er fuhr in Helsfyr ab.
Beate hatte das Haus ihrer Mutter übernommen. Es erinnerte Harry an das Haus, in dem er selbst aufgewachsen war. Auch in Oppsal, ein typisches Holzhaus aus den Fünfzigern, ein nüchterner Kasten für die heranwachsende Mittelschicht, die einen Apfelgarten nicht mehr nur als Privileg der Oberklasse ansah.
Abgesehen von einem rumpelnden Müllwagen, der sich von einem Mülleimer zum nächsten vorarbeitete, war es still. Alle waren bei der Arbeit, im Kindergarten oder in der Schule. Harry parkte den Wagen, ging durch das Gartentor, passierte eine Schaukel, ein abgeschlossenes Kinderfahrrad und eine überquellende Mülltonne mit einem schwarzen Plastiksack, ehe er die Treppe zu einem Paar bekannter Joggingschuhe hochsprang. Er drückte auf die Klingel unter dem Keramikschild mit dem Namen von Beate und ihrer Tochter.
Wartete.
Klingelte noch einmal.
Oben war ein Fenster offen, das – wie er meinte – zu einem Schlafzimmer gehören musste. Er rief ihren Namen. Vielleicht hatte sie ihn wegen des sich nähernden, den Abfall mit seinem stählernen Schieber laut malträtierenden Müllwagens nicht gehört.
Er legte die Hand auf die Klinke. Die Tür war offen. Er trat ein. Rief nach oben. Keine Antwort. Jetzt konnte er die Unruhe nicht mehr verdrängen, die sich schon eine ganze Weile in ihm aufgestaut hatte.
Wegen der ausbleibenden Nachrichten.
Der Mailbox ihres Handys.
Er ging schnell nach oben. Lief von Schlafzimmer zu Schlafzimmer.
Leer. Unbenutzt.
Dann stürmte er die Treppe wieder nach unten und ging zum Wohnzimmer. Blieb auf der Türschwelle stehen und sah sich um. Wusste genau, warum er nicht weiterging, wollte den Gedanken aber nicht zulassen, sich nicht selbst eingestehen, dass er auf einen möglichen Tatort blickte.
Er war schon einmal hier gewesen, aber irgendwie kam der Raum ihm leerer als sonst vor. Vielleicht war es das Morgenlicht, vielleicht einfach die Tatsache, dass Beate nicht
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