Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)
Wagens, der sogleich mit einem hitzigen Zischen anhielt.
Der Schieber blieb stehen, und der Müllmann starrte in den Wagen.
Harry kam langsam näher und sah ins Innere des Stahlmonsters. Er nahm den scharfen Geruch nicht wahr, sah nur die halb zusammengedrückten, teilweise aufgeplatzten Müllsäcke, aus denen etwas sickerte, das das Metall rot färbte.
»Die Leute haben sie doch nicht mehr alle«, flüsterte der Müllmann.
»Was ist los?«, fragte der Fahrer, der den Kopf aus dem Fenster gestreckt hatte.
»Da scheint wieder einer seinen Hund entsorgt zu haben!«, rief sein Kollege. Und sah Harry an: »Ist das Ihrer?«
Harry antwortete nicht, sondern kletterte wortlos über den Rand ins Innere des Wagens.
»He! Das ist verboten, das ist lebensgef…«
Harry riss sich aus dem Griff des Mannes los. Rutschte in das Rote, schlug sich Ellenbogen und Wangen an dem seifenglatten Stahl an und nahm schließlich doch den Geruch wahr, den er so gut kannte. Blut, ein paar Stunden alt. Er kniete sich hin und riss einen der Säcke auf.
Der Inhalt quoll heraus und rutschte auf der abschüssigen Ladefläche nach unten.
»Oh, verdammt«, schrie der Müllmann hinter ihm.
Harry riss den zweiten Sack auf. Und den dritten.
Hörte den Müllmann von der Plattform springen und auf den Asphalt kotzen.
Im vierten Sack fand er, was er suchte. Die anderen Körperteile hätten auch irgendjemand anderem gehören können. Aber nicht dieser. Nicht dieses blonde Haar, dieses blasse, nie wieder rot werdende Gesicht. Nicht dieser leere, starre Blick, der jeden Menschen wiedererkannt hatte, den er jemals gesehen hatte. Das Gesicht war zerhackt worden, aber Harry zweifelte keine Sekunde. Er legte einen Finger auf den einen Ohrring, geschmiedet aus einem Uniformknopf.
Es tat so weh, so weh, dass er keine Luft mehr bekam, so weh, dass er sich zusammenkrümmte wie eine sterbende Biene, deren Stachel ausgerissen worden war.
Und er hörte einen Laut über seine Lippen kommen, ein fremdartiges, langgezogenes Heulen, das in der stillen Nachbarschaft widerhallte.
Teil IV
Kapitel 27
B eate Lønn wurde neben ihrem Vater auf dem Gamlebyen-Friedhof beigesetzt. Ihr Vater war dort beerdigt worden, weil dieser Friedhof dem Präsidium am nächsten lag und nicht weil es der Friedhof seiner Heimatgemeinde gewesen wäre.
Mikael Bellman rückte seinen Schlips zurecht. Nahm Ullas Hand. Der Medienbeauftragte hatte ihm geraten, sie mitzunehmen. Die Situation war für ihn als verantwortlichen Leiter der Polizei nach diesem neuerlichen Mord derart prekär, dass er Hilfe brauchte. Als Erstes hatte der PR -Mensch ihm erklärt, wie wichtig es sei, als Polizeipräsident jetzt ein persönlicheres Engagement zu zeigen, mehr Empathie. Bis jetzt habe er definitiv zu professionell gewirkt. Ulla hatte eingewilligt. Natürlich hatte sie das. In den Trauerkleidern, die sie mit Sorgfalt ausgesucht hatte, sah sie bezaubernd aus. Ulla war eine gute Frau für ihn. Er durfte das nicht wieder vergessen. So bald jedenfalls nicht.
Der Pastor machte viele Worte über die große Frage, was einen nach dem Tod erwartete. Aber die eigentlich große Frage war, was unmittelbar vor Beates Tod passiert war und wer sie umgebracht hatte. Sie und die drei anderen Polizisten, die im Laufe des letzten halben Jahres ermordet worden waren.
Nur das interessierte die Presse, die in den Tagen zuvor die brillante Kriminaltechnikerin mit Lob überschüttet und den neuen und offensichtlich unerfahrenen Polizeipräsidenten umso mehr kritisiert hatte.
Auch der Senat beschäftigte sich mit dieser Frage und hatte Bellman zu einem Gespräch eingeladen, in dem sein Vorgehen kritisch hinterfragt werden sollte.
Und zu guter Letzt war das auch die große Frage für die beiden Ermittlungsgruppen. Hagen hatte die kleine Gruppe wieder eingesetzt, ohne Bellman zu informieren, was dieser aber stillschweigend akzeptiert hatte, da sie mit Valentin Gjertsen wenigstens eine Spur hatten. Der Schwachpunkt dieser Spur war allerdings, dass sie einzig und allein auf der Aussage der Zeugin beruhte, die in dem Sarg lag, der vorne im Altarraum stand.
Die Berichte der Spurensicherung, der taktischen Ermittlungsgruppe und der Rechtsmedizin konnten nicht vollständig klären, was wirklich passiert war. Sicher war aber, dass der Tathergang auffallende Ähnlichkeit mit dem Mordfall in Bergslia vor einigen Jahren hatte.
Ging man davon aus, dass auch der Rest übereinstimmte, war Beate Lønn auf die schlimmstmögliche Weise
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