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Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)

Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)

Titel: Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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nicht mehr so frei wie früher. Und sobald er merkte, dass das für sie nicht mehr natürlich war, endete diese Natürlichkeit selbstverständlich auch für ihn. Trotzdem wollte er diesen kleinen Moment stehlen und seine Tochter friedlich und sicher schlafen sehen. Gut geschützt vor all dem, was er an diesem Tag erlebt hatte.
    Aber dann ließ er es doch bleiben. Er würde sie ja morgen beim Frühstück sehen.
    Seufzend ging er ins Bad, putzte sich die Zähne und wusch sich das Gesicht. Dann zog er sich aus und nahm seine Kleider mit ins Schlafzimmer, wo er sie über einen Stuhl legte und gerade ins Bett kriechen wollte, als er plötzlich wieder ins Stocken kam. Die Stille. Warum kam es ihm so unnatürlich still vor? Fehlte das Brummen des Kühlschranks? Das Summen der Ventilationsluke, die in der Regel offen stand?
    Er war zu erschöpft, jetzt darüber nachzugrübeln, und schob sich unter die Decke. Neben sich sah er Ingrids Haare auf dem Kissen. Er wollte seine Hand ausstrecken, ihr über den Rücken streicheln und einfach nur spüren, dass sie da war. Aber sie hatte so einen leichten Schlaf und hasste es, geweckt zu werden, das wusste er. Erst wollte er sich auf die Seite drehen, entschied sich dann aber doch anders.
    »Ingrid?«
    Keine Antwort.
    »Ingrid?«
    Stille.
    Das konnte warten. Er schloss die Augen.
    »Ja?« Er merkte, dass sie sich zu ihm umgedreht hatte.
    »Nichts«, murmelte er. »Nur … Dieser Fall …«
    »Dann sag doch, dass du das nicht willst.«
    »Irgendjemand muss es doch machen.« Es klang wie das Klischee, das es war.
    »Dann finden sie keinen Besseren als dich.«
    Ståle öffnete die Augen, sah sie an und streichelte ihr über die warmen, runden Wangen. Manchmal – nein, häufiger als manchmal – gab es keine Bessere als sie.
    Ståle Aune schloss die Augen. Und da kam er. Der Schlaf. Die Betäubung. Die wirklichen Alpträume.

Kapitel 36
    D ie Vormittagssonne ließ die von dem kurzen, heftigen Schauer nassen Villendächer glänzen.
    Mikael Bellman drückte auf die Klingel und sah sich um.
    Ein gepflegter Garten. Vermutlich hatte man für so was Zeit, wenn man pensioniert war.
    Die Tür ging auf.
    »Mikael, was für eine nette Überraschung!«
    Er war älter geworden. Der gleiche blaue, scharfe Blick, aber eben älter.
    »Komm rein.«
    Mikael trat die nassen Schuhsohlen auf der Türmatte ab und ging ins Haus. Drinnen roch es nach etwas, das er aus seiner Kindheit kannte, aber nicht recht einordnen konnte.
    Sie setzten sich ins Wohnzimmer.
    »Sie sind allein?«, fragte Mikael.
    »Meine Frau ist bei unserem Ältesten. Sie brauchen ein bisschen Hilfe von der Großmutter, und sie lässt sich in solchen Situationen nicht lange bitten.« Er lächelte breit. »Ich hatte eigentlich schon vor, Kontakt zu Ihnen aufzunehmen. Der Senat hat zwar noch keinen endgültigen Beschluss gefasst, aber wir wissen ja beide, was sie wollen, und da wäre es wohl klug, dass wir uns baldmöglichst zusammensetzen und besprechen, wie wir das machen wollen. Ich denke dabei an die Arbeitsteilung.«
    »Ja«, sagte Mikael. »Haben Sie vielleicht einen Kaffee?«
    »Entschuldigung?« Die buschigen Augenbrauen ragten bis weit in die Stirn des alten Mannes.
    »Wenn es länger dauert, wäre eine Tasse Kaffee sicher nicht schlecht.«
    Der Mann studierte Mikael. »Aber ja, natürlich. Kommen Sie, wir können uns in die Küche setzen.«
    Mikael folgte ihm. Der Wald von Familienbildern auf Tisch und Kommode erinnerte ihn an Barrikaden, den hoffnungslosen Versuch, Angriffe von außen abzuwehren.
    Die halbherzig modernisierte Küche sah aus, als hätte die Schwiegertochter ein kräftiges Wort mitgeredet, als eigentlich nur der kaputte Kühlschrank ausgetauscht werden sollte.
    Während der Alte eine Tüte Kaffee aus einem der Hängeschränke nahm und mit einem Messlöffel die richtige Menge in zwei Tassen füllte, nahm Mikael Bellman Platz, legte den MP 3-Player auf den Tisch und startete die Wiedergabe. Truls’ Stimme klang metallisch und dünn: »Auch wenn wir durchaus Grund zu der Annahme haben, dass die Frau eine Prostituierte ist? Aber es kann ja auch sein, dass gar nicht Ihr Sohn den Wagen gefahren hat, vom Fahrer haben wir ja kein Foto.«
    Die Stimme des Polizeipräsidenten a. D. kam aus etwas größerer Distanz, war aber dank fehlender Hintergrundgeräusche gut zu verstehen. »Dann haben Sie doch eigentlich gar keinen Fall? Nein, das können Sie wirklich vergessen.«
    Mikael sah das Kaffeepulver vom Messlöffel rieseln,

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