Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)
Cougar.
»Schließ ab!«, sagte sie.
Er hatte sich nicht geirrt.
Mikael schloss die Tür hinter sich und drehte den Schlüssel herum. Dann trat er an eines der anderen Fenster. Das Rathaus überragte die bescheidene Baumasse Oslos mit seinen vier- oder fünfstöckigen Häusern. Dem Rathaus gegenüber thronte die siebenhundertjährige Festung Akershus auf ihrer Anhöhe, umgeben von kriegsversehrten Kanonen, die aufs Wasser gerichtet waren. Der Fjord selbst schien eine Gänsehaut zu haben und in den eiskalten Windböen zu zittern. Es hatte zu schneien aufgehört, und unter den bleigrauen Wolken badete die Stadt in blauweißem Licht. Isabelles Stimme wurde von den kahlen Wänden zurückgeworfen: »Nun, mein Lieber, was hältst du von der Aussicht?«
»Beeindruckend. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, hatte der frühere Sozialsenator ein kleineres Büro und noch dazu deutlich weiter unten.«
»Nicht die Aussicht«, sagte sie. »Die hier.«
Er wandte sich ihr zu. Oslos frisch ernannte Senatorin für soziale Dienste und Drogenfürsorge hatte die Beine gespreizt. Ihr Slip lag neben ihr im Fensterrahmen. Isabelle hatte mehrfach betont, wie unsinnig sie es fand, sich zwischen den Beinen zu rasieren, doch als Mikael in die Wildnis starrte und dabei murmelnd die Charakteristik der Aussicht wiederholte – beeindruckend –, dachte er, dass es doch auch so etwas wie einen Mittelweg geben müsse.
Sie ging mit energischen Schritten auf ihn zu und wischte ihm ein unsichtbares Staubkorn vom Kragen. Auch ohne die Stilettos wäre sie einen Zentimeter größer als er gewesen, doch jetzt überragte sie ihn richtiggehend, ohne dass ihn das einschüchterte. Im Gegenteil, ihre physische Größe und dominante Persönlichkeit waren für ihn eine interessante Herausforderung. Sie forderten ihn als Mann mehr, als Ulla das mit ihrer grazilen Gestalt und ihrer Fügsamkeit jemals tun konnte. »Ich finde es nur recht und billig, dass du es bist, der mein Büro einweiht. Ohne deine … Bereitschaft zur Zusammenarbeit hätte ich diesen Job wohl kaum bekommen.«
»Und umgekehrt«, sagte Mikael Bellman und sog den Duft ihres Parfüms ein. Er kannte ihn. War das … Ullas? Dieses Tom-Ford-Parfüm, wie hieß es noch gleich? Black Orchid . Das er ihr immer aus Paris oder London mitbrachte, weil es in Norwegen nirgends zu kriegen war. Der Zufall kam ihm recht merkwürdig vor.
Er sah das Lachen in ihren Augen, als sie seine Verblüffung bemerkte. Sie verschränkte ihre Finger hinter seinem Nacken und lehnte sich lachend nach hinten. »Tut mir leid, ich konnte einfach nicht widerstehen.«
Nach dem Einweihungsfest in ihrem neuen Haus hatte Ulla sich beklagt, dass ihr Parfüm verschwunden war. Schon damals hatte sie angenommen, dass einer ihrer prominenten Gäste es gestohlen haben musste. Er selbst hatte auf Truls Berntsen getippt, schließlich wusste er, dass Truls in ihrer Jugend in Ulla verliebt gewesen war. Was er aber natürlich nie erwähnt hatte, weder ihr noch Truls gegenüber. Ebenso wenig wie er Truls wegen des Parfüms zur Rede gestellt hatte. Schließlich war es besser, er klaute Ullas Parfüm als ihre Slips.
»Hast du mal darüber nachgedacht, dass das vielleicht genau dein Problem ist?«, sagte Mikael. »Dass du es einfach nicht sein lassen kannst?«
Sie lachte weich. Schloss die Augen, und ihre langen, breiten Finger lösten sich hinter seinem Nacken voneinander und streichelten über seinen Rücken nach unten bis unter seinen Gürtel. Dann sah sie ihn enttäuscht an.
»Was ist los, mein Bulle?«
»Die Ärzte sind sich nicht mehr sicher, dass er stirbt«, sagte Mikael. »In letzter Zeit hat es sogar Anzeichen gegeben, dass er doch noch aus dem Koma aufwachen könnte.«
»Inwiefern? Bewegt er sich?«
»Nein, aber sie sehen Veränderungen im EEG , weshalb sie jetzt mit neurophysiologischen Untersuchungen begonnen haben.«
»Ja und?« Ihre Lippen waren dicht vor ihm. »Hast du Angst vor ihm?«
»Ich habe keine Angst vor ihm, sondern vor dem, was er sagen könnte. Über uns.«
»Warum sollte er etwas derart Dummes tun? Er ist allein, er kann damit nichts gewinnen.«
»Lass es mich so sagen, meine Liebe«, sagte Mikael und schob ihre Hand weg. »Der Gedanke daran, dass es da draußen jemanden gibt, der bezeugen kann, dass du und ich mit einem Drogenboss zusammengearbeitet haben, um unsere Karrieren anzuschieben …«
»Jetzt hör mir mal zu«, sagte Isabelle. »Das Einzige, was wir getan haben, war doch wohl,
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