Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)
du musst also herkommen. Ich schlage vor, wir treffen uns an einem diskreten Ort. In der noch nicht eröffneten Abteilung, in der jetzt ja niemand mehr ist. In einer Dreiviertelstunde in Asajevs Zimmer.«
Fünfundvierzig Minuten. Er schien es wirklich eilig zu haben. Oder wollte auf Nummer sicher gehen und verhindern, dass Mikael ihm eine Falle stellte. Aber Mikael war ein Freund einfacher Erklärungen. Zum Beispiel, dass er es mit einem drogenabhängigen Anästhesiepfleger zu tun hatte, dessen Vorräte zur Neige gegangen waren. Auf jeden Fall würde das die Sache vereinfachen. Vielleicht gäbe ihm das sogar die Möglichkeit, den Sack ein für alle Mal zuzumachen.
»Okay«, sagte Mikael und legte auf. Sog den ekligen Geruch ein, der aus dem Beton der Terrasse zu kommen schien. Dann ging er ins Wohnzimmer und schob die Tür hinter sich zu.
»Ich muss noch mal weg«, sagte er.
»Jetzt?«, fragte Ulla und sah ihn mit dem verletzten Blick an, der ihn sonst immer zu ärgerlichen Kommentaren verleitete.
»Jetzt.« Er dachte an die Pistole, die er im Kofferraum seines Wagens hatte. Eine Glock 22, ein Geschenk von einem amerikanischen Kollegen. Unbenutzt, nicht registriert.
»Wann bist du wieder da?«
»Ich weiß es nicht. Warte nicht auf mich.«
Er ging auf den Flur, spürte ihren Blick im Rücken, blieb aber nicht stehen, bevor er an der Tür war.
»Nein, es ist nicht sie, die ich treffen muss, okay?«
Ulla antwortete nicht. Sie drehte ihr Gesicht zum Fernseher und tat so, als interessierte sie sich für den Wetterbericht.
Katrine fluchte. Sie schwitzte in der feuchten Wärme des Heizungsraums, tippte aber weiter.
Wo zum Henker versteckte sich die FBI -Statistik über die toten Zeugen? Und was wollte Harry damit?
Sie sah auf die Uhr. Seufzte und wählte seine Nummer.
Keine Antwort. Natürlich nicht.
Dann teilte sie ihm per SMS mit, dass sie mehr Zeit bräuchte. Sie sei im Heiligsten des FBI , aber diese Statistik müsse entweder top secret sein, oder er habe etwas missverstanden. Schließlich warf sie ihr Handy auf den Schreibtisch und dachte, dass sie eigentlich Lust hatte, Leif Rødbekk anzurufen. Nein, nicht ihn. Irgendeinen anderen Idioten, der sich die Mühe machen würde, sie heute Abend mal richtig durchzuvögeln. Die erste Person, die ihr in den Sinn kam, ließ sie die Stirn runzeln. Wo kam der denn jetzt her? Süß, aber … aber was? Dachte sie schon länger darüber nach, ohne sich dessen bewusst zu sein?
Sie verdrängte den Gedanken und konzentrierte sich wieder auf den Bildschirm.
Vielleicht war die Statistik ja gar nicht vom FBI , sondern von der CIA ?
Sie tippte die neuen Suchworte ein. Central Intelligence Agency, witness, trial und death. Return. Die Maschine arbeitete, und die ersten Treffer wurden angezeigt.
Hinter ihr ging die Tür, und sie spürte einen kühlen Luftzug vom Kellerflur.
»Bjørn?«, sagte sie, ohne den Blick vom Bildschirm zu nehmen.
Harry parkte den Wagen vor der Jakobskirche und ging von dort hoch zur Hausmanns gate 92.
Er sah an der Fassade empor.
In der zweiten Etage brannte Licht. Die Fenster hatten Gitter bekommen. Allem Anschein nach war der neue Besitzer die ständigen Einbrüche über die Feuertreppe auf der Rückseite des Hauses leid.
Harry hatte gedacht, dass er mehr empfinden würde. Schließlich war dies der Ort, an dem Gusto getötet worden war und an dem er selbst um ein Haar sein Leben gelassen hätte.
Er legte die Hand auf die Klinke. Es war alles wie früher, die Tür war offen, freier Eintritt.
Am Fuß der Treppe nahm er seine Odessa, entsicherte sie und sah am Treppengeländer nach oben. Er lauschte, während ihm der Geruch von Urin und vollgekotztem Holz in die Nase stieg. Es war still, total still.
Er bewegte sich so lautlos vorwärts, wie er konnte, und stieg über feuchtes Zeitungspapier, Milchkartons und benutzte Spritzen. Als er die zweite Etage erreichte, blieb er vor der Tür stehen. Sie war neu. Eine Stahltür mit Mehrfachschloss. Nur extrem motivierte Einbrecher ließen sich von so etwas nicht abschrecken.
Harry sah keinen Grund anzuklopfen. Warum sollte er ein mögliches Überraschungsmoment aus der Hand geben? Als er die Klinke nach unten drückte und spürte, dass die Federn der Tür Widerstand leisteten, sie aber nicht verschlossen war, legte er beide Hände um die Odessa und trat die schwere Tür mit seinem rechten Fuß auf.
Er stürmte in den Raum und duckte sich nach links weg, um nicht wie eine Silhouette in der
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