Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)
schnell du kannst. Truls Berntsen.
Kapitel 44
A ls Harry den Parkplatz überquerte, bemerkte er ein Auto mit kaputtem Seitenfenster. Das Licht der Laternen glitzerte auf den Scherben, die auf dem Asphalt lagen. Es war ein Suzuki Vitara. Berntsen fuhr so einen. Harry wählte die Nummer der Kriminalwache.
»Harry Hole. Ich brauche eine Halterfeststellung.«
»Hole, das kann heute doch jeder direkt im Netz machen.«
»Dann können Sie das doch ganz leicht für mich erledigen, oder?«
Er bekam ein Grunzen als Antwort und gab das Kennzeichen durch. Die Antwort kam nach drei Sekunden.
»Ein Truls Berntsen, wohnhaft in …«
»Danke, das reicht schon.«
»Wollen Sie eine Anzeige machen?«
»Was?«
»Ist er in irgendwas verwickelt? Oder haben Sie den Eindruck, dass der Wagen gestohlen oder aufgebrochen wurde?«
Pause.
»Hallo?«
»Nein, nein, alles in Ordnung. Bloß ein Missverständnis.«
»Miss…«
Harry legte auf. Warum hatte Truls Berntsen nicht seinen Wagen genommen? Kein Mensch mit Polizistengehalt fuhr Taxi. Harry ging in Gedanken das U-Bahn-Netz durch. Der Bahnhof Ryen war vielleicht hundert Meter entfernt. Aber einen Zug hatte er nicht gehört. Vermutlich fuhr die Bahn hier unterirdisch. Harry blinzelte in die Dunkelheit. Er hatte gerade etwas anderes gehört. Das Knistern seiner Nackenhaare, die sich langsam aufrichteten. Natürlich wusste er, dass man das nicht hören konnte, trotzdem war es das einzige Geräusch, das er wahrnahm. Er holte wieder sein Telefon heraus. Tippte K und dann Anruf.
»Endlich«, antwortete Katrine.
»Endlich?«
»Du siehst doch, dass ich dich angerufen habe?«
»Ja doch. Du klingst außer Atem.«
»Ich war joggen, Harry. Silje Gravseng.«
»Was ist mit ihr?«
»In ihrer ganzen Wohnung hängen Zeitungsausschnitte über die Polizistenmorde. Sie hat einen Schlagstock in ihrem Zimmer, und der Hausmeister sagt, dass sie damit potentielle Vergewaltiger verprügelt. Und sie hat einen Bruder, der im Irrenhaus hockt, seit er von zwei Polizisten zusammengeschlagen wurde. Sie ist verrückt, Harry. Komplett verrückt!«
»Wo bist du?«
»Im Vaterlandsparken. Sie ist nicht hier, ich finde, wir sollten eine Fahndung rausgeben.«
»Nein.«
»Nein?«
»Sie ist nicht die, nach der wir suchen.«
»Wie meinst du das? Motiv, Gelegenheit, Rahmenbedingungen. Alles vorhanden, Harry.«
»Vergiss Silje Gravseng. Ich will, dass du eine Statistik für mich überprüfst.«
»Statistik?« Sie schrie so laut, dass die Membran des Telefons knackte. »Ich stehe hier knietief in den Akten der Sitte und suche in all dem Dreck nach dem möglichen Polizeischlächter, und du bittest mich, eine Statistik zu überprüfen? Verdammt, Hole!«
»Check mal in der FBI -Statistik, wie viele Zeugen in der Zeit zwischen der offiziellen Vorladung und dem Beginn des Verfahrens gestorben sind.«
»Was hat das mit unserem Fall zu tun?«
»Gib mir einfach die Zahlen, okay?«
»Nicht okay!«
»Nun, dann kannst du das als Befehl auffassen, Bratt.«
»Aha, aber … he, Moment mal! Wer von uns ist hier eigentlich der Chef?«
»Wenn du fragen musst, bestimmt nicht du.«
Harry hörte, wie sie in ihrem Bergenser Dialekt fluchte, bevor er die Verbindung beendete.
Mikael Bellman saß auf dem Sofa. Der Fernseher lief. Es war gegen Ende der Nachrichten, sie waren beim Sport, als Mikael Bellmans Blick vom Fernseher nach draußen wanderte. Zur Stadt, die in dem schwarzen Kessel tief unter ihm lag. Der Beitrag über den Senat hatte gerade einmal zehn Sekunden gedauert. Der Senatsleiter hatte gesagt, dass personelle Veränderungen im Senat ganz normal seien und es dieses Mal mit der ungewöhnlich hohen Arbeitsbelastung gerade in diesem Ressort zu erklären sei, dass der Staffelstab weitergegeben worden sei. Isabelle Skøyen würde in ihre alte Stellung als Senatssekretärin zurückkehren, und der Senat rechnete damit, ihre Kompetenz auch an dieser Stelle gut nutzen zu können. Skøyen selbst sei nicht zu einem Kommentar bereit, hieß es.
Seine Stadt glitzerte wie ein Juwel.
Er hörte die Tür eines der Kinderzimmer weich ins Schloss fallen, und kurz darauf kroch sie zu ihm aufs Sofa und schmiegte sich an ihn.
»Schlafen sie?«
»Wie Steine«, sagte sie und er spürte ihren Atem am Hals. »Lust fernzusehen?« Sie biss ihm ins Ohrläppchen. »Oder …?«
Er lächelte, rührte sich aber nicht. Genoss die Sekunde und spürte, wie perfekt es war, genau jetzt an diesem Ort zu sein. Oben auf dem Berg. Das
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