Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)
Jedenfalls nicht, bevor er in Manglerud gestanden hatte und in Gedanken durchgegangen war, wie das Osloer U-Bahn-Netz verlief. Erst da war ihm endlich bewusst geworden, was im Verborgenen lag und nicht an die Oberfläche wollte. Der Wald. Im Wald fuhr keine U-Bahn.
Kapitel 46
M ikael Bellman war stehen geblieben.
Er starrte lauschend den leeren Flur hinunter.
Wie in einer Wüste, dachte er. Nichts, woran man den Blick heften konnte, nur das vibrierende weiße Licht, das alle Konturen verwischte.
Dieses surrende Flirren der Neonröhren wie Wüstenhitze, das Vorspiel zu etwas, das nie eintreffen würde. Nur ein leerer Krankenhausflur, an dessen Ende nichts war. Vielleicht war das Ganze eine Fata Morgana, Isabelle Skøyens Lösung des Problems Asajev, der Anruf vor einer Stunde, die Tausender, die der Geldautomat im Zentrum gerade ausgespuckt hatte, dieser verlassene Krankenhausflügel.
Lass das Ganze eine Luftspiegelung sein, einen Traum, dachte Mikael und setzte sich in Bewegung. Mit der Hand überprüfte er, ob die Glock 22, die er in der Manteltasche hatte, auch entsichert war. In der anderen Tasche hatte er das Geld. Falls die Situation sich so entwickelte, dass er tatsächlich zahlen musste. Vielleicht waren es mehrere. Was er eigentlich nicht glaubte. Der Betrag war zu klein zum Teilen. Das Geheimnis zu groß.
Er passierte den Kaffeeautomaten, bog um die Ecke und schaute den ebenso flachen und weißen Flur hinunter. Dort stand der Stuhl, auf dem Asajevs Polizeiwache gesessen hatte. Er war nicht entfernt worden.
Er machte lange Schritte, setzte die Schuhsohlen weich, fast lautlos auf und überprüfte alle Türen, an denen er vorbeikam. Sie waren abgeschlossen.
Dann stand er vor der Tür neben dem Stuhl. Einer Eingebung folgend, legte er die linke Hand auf das Sitzpolster. Es war kalt.
Er holte tief Luft und nahm die Pistole aus der Tasche. Sah auf seine Hand. Sie zitterte nicht, oder doch?
Nicht, wenn es darauf ankam.
Er steckte die Waffe wieder ein und drückte die Klinke langsam nach unten. Die Tür war nicht abgeschlossen.
Es gab keinen Grund, das Überraschungsmoment nicht zu nutzen, dachte Mikael Bellman, drückte die Tür auf und trat ein.
Der Raum badete in Licht, war aber abgesehen von dem Bett, in dem Asajev gelegen hatte, fast leer. Es stand mitten im Raum unter einer Lampe. Auf einem metallenen Bettschränkchen daneben wurde das Licht von ein paar glänzend scharfen Instrumenten reflektiert. Es sah fast so aus, als hätten sie diesen Raum in einen OP umgewandelt.
Mikael bemerkte eine Bewegung hinter dem einen Fenster, legte die Finger um den Schaft der Waffe und versuchte zu erkennen, was los war. Brauchte er eine Brille?
Als er das Bild endlich scharfgestellt und erkannt hatte, dass es eine Spiegelung und die Bewegung hinter ihm war, war es längst zu spät.
Er spürte eine Hand auf der Schulter und reagierte blitzartig, aber der Stich in den Hals schien augenblicklich die Verbindung zu seiner Pistolenhand zu kappen. Und bevor das Dunkel sich ganz über ihn senkte, sah er das Gesicht des Mannes dicht neben seinem Spiegelbild auf der schwarzen Scheibe. Er trug eine grüne Haube und einen grünen Mundschutz. Wie ein Chirurg. Ein Chirurg unmittelbar vor einer Operation.
Katrine war viel zu sehr von dem PC -Bildschirm absorbiert, um sich zu wundern, dass sie von der Person, die hinter ihr den Raum betreten hatte, keine Antwort bekam. Erst als die Tür ins Schloss gefallen war und alle Geräusche aus dem Tunnel verstummt waren, fragte sie noch einmal:
»Wo bist du gewesen, Bjørn?«
Sie spürte eine Hand auf Schulter und Nacken. Ihr erster Gedanke war, dass sie es gar nicht so unangenehm fand, eine warme, freundliche Männerhand auf der nackten Haut zu spüren.
»Ich war an einem Tatort und habe Blumen niedergelegt«, sagte die Stimme hinter ihr.
Katrine zog verwundert die Stirn in Falten.
No files found , stand auf dem Bildschirm. Wirklich? Gab es wirklich nirgendwo Dokumente über die Statistik der Todesfälle von Kronzeugen? Sie wählte Harrys Nummer. Die Hand begann ihre Nackenmuskeln zu massieren. Katrine stöhnte, in erster Linie, um zu zeigen, dass ihr das gefiel. Sie schloss die Augen und beugte den Kopf nach vorn. Hörte es am anderen Ende klingeln.
»Ein bisschen weiter unten. An welchem Tatort?«
»Eine Landstraße. Ein Mädchen, das überfahren wurde. Der Fall ist nie aufgeklärt worden.«
Harry antwortete nicht. Katrine nahm den Hörer vom Ohr und tippte eine SMS .
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