Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)
Chirurgenmaske musterte. Truls hatte ihn um den Reisefernseher herumlaufen und mit einem Schraubenzieher herumfingern sehen. Dann hatte er bemerkt, dass die Zahlen, die beim Zuknallen der Tür zu laufen begonnen hatten, wieder auf sechs Minuten standen. Eine Bombe. Schließlich hatte der Grüngekleidete einen schwarzen Schlagstock hervorgenommen, genau das Modell, das er selbst benutzt hatte, und begonnen, Truls ins Gesicht zu schlagen. Konzentriert und ohne sichtbaren Genuss oder andere Gemütsbewegungen. Leichte Schläge, nichts, womit man Knochen brach. Aber genug, damit Blutgefäße und Adern platzten, sein Gesicht anschwoll und sich das Gewebe unter der Haut mit Flüssigkeit füllte. Irgendwann waren die Schläge härter geworden. Truls hatte das Gefühl in der Haut verloren und nur noch gespürt, wenn sie platzte und das Blut an seinem Hals und seiner Brust nach unten rann, und er hatte bei jedem Schlag den dumpfen, pochenden Schmerz in seinem Kopf vernommen, im Gehirn – nein, noch tiefer als im Gehirn. Der Grüngekleidete war ein pflichtbewusster Glöckner, der überzeugt von der Wichtigkeit seiner Arbeit mit dem Schlegel gegen die Bronze der Glocke schlug, während die feinen roten Blutspritzer Rorschach-Bilder auf seinen grünen Kittel zeichneten. Er hörte das Knacken von Nasenbein und Knorpeln, spürte die Zähne brechen und wie der Kiefer sich ausrenkte und schließlich nur noch an Sehnen und Nerven hing, bis endlich … endlich alles schwarz geworden war.
Irgendwann war er in einer Hölle aus Schmerz wieder wach geworden und hatte ihn ohne Kittel und Maske gesehen. Harry Hole stand aufrecht vor dem Kühlschrank.
Zuerst war er verwirrt gewesen.
Dann war ihm alles ganz logisch erschienen. Hole wollte jemanden loswerden, der sein Strafregister ganz genau kannte, und er wollte das als eine Tat des Polizeischlächters tarnen.
Aber Hole war größer als der andere. Er hatte einen anderen Blick. Und Hole war im Begriff, in diesen blöden Kühlschrank zu klettern. Verzweifelt. Er saß im gleichen Boot. Zwei Polizisten an einem Tatort, die gemeinsam sterben sollten. Ausgerechnet sie beide, welche Ironie des Schicksals! Hätte er nicht solche Schmerzen gehabt, er hätte gelacht.
Dann kam Hole wieder aus dem Kühlschrank heraus, machte ihn los und schleppte auch ihn zu dem Ding. Etwa da hatte er das Bewusstsein verloren.
»Kann ich mehr Morphium bekommen?«, flüsterte Truls und hoffte, durch das Heulen der Sirenen gehört zu werden. Er wartete ungeduldig auf die Welle des Wohlseins, von der er wusste, dass sie durch seinen Körper rauschen und die entsetzlichen Schmerzen wegwaschen würde. Und er dachte, dass es die Drogen sein mussten, die ihn denken ließen, was er dachte. Denn eigentlich passte ihm das Ganze doch perfekt. Trotzdem wurde er den Gedanken nicht los, dass es eine verfluchte Scheiße war, dass ausgerechnet Harry Hole so starb.
Als Held.
Dass er seinen Platz geräumt hatte, um sich für einen Feind zu opfern.
Und dass der Feind jetzt damit leben musste, am Leben zu sein, weil ein besserer Mann sich für ihn geopfert hatte.
Truls spürte, wie es sich von der Wirbelsäule kommend ausbreitete. Die Kälte, die der Schmerz vor sich her schob. Stirb für etwas, egal, wofür, nur nicht für dein jämmerliches Ich. Vielleicht ging es letzten Endes genau darum. Falls es wirklich so war, sollte Hole der Teufel holen.
Er sah zu dem Pfleger und realisierte, dass die Scheibe nass war. Es musste zu regnen begonnen haben.
»Mehr Morphium, verdammt!«
Kapitel 47
D er Polizist mit dem Zungenbrechernamen Karsten Kaspersen saß im Wachraum der PHS und starrte raus in den Regen. Es schüttete, trommelte auf den schwarzen Asphalt und tropfte vom Tor.
Er hatte das Licht ausgemacht, damit niemand sah, dass die Wache so spät noch besetzt war. Mit »niemand« meinte er die Leute, die Schlagstöcke oder anderes Material stahlen. Auch einige Rollen Absperrband, die für die Ausbildung der Studenten gebraucht wurden, waren verschwunden. Und da es keine Einbruchspuren gegeben hatte, musste es jemand sein, der Zugang zum Gebäude hatte. Es ging weniger um die Tatsache, dass Schlagstöcke oder Absperrband verschwanden, als darum, dass sie Diebe in ihrer Mitte hatten. Diebe, die in Kürze womöglich als Polizisten herumlaufen würden. Und so etwas ging nun wirklich nicht, nicht in seinem Korps.
Jetzt sah er, wie sich jemand vom Slemdalsveien unter den Laternen vor dem Chateau Neuf durch den Regen näherte. Am
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