Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)
Händedruck und verließen den Ort in drei verschiedene Richtungen.
Kapitel 12
M ikael Bellman sah die Gestalt über das Korn seiner Pistole. Er kniff ein Auge halb zu, drückte den Abzug langsam nach hinten und spürte sein Herz schlagen. Ruhig, aber schwer, das Blut pochte bis in seine Fingerspitzen. Die Gestalt bewegte sich nicht. Das kam ihm nur so vor, weil er selbst nicht ruhig stand. Er ließ den Abzug los, holte tief Luft, fokussierte erneut. Bekam die Gestalt wieder über das Korn und drückte ab. Sah ein Zucken durch sie gehen. Das richtige Zucken. Tot. Mikael Bellman wusste, dass er einen tödlichen Kopfschuss gesetzt hatte.
»Her mit der Leiche, damit wir sie obduzieren können«, rief er und ließ die Heckler & Koch P30L sinken. Er nahm die Ohrenschützer und die Schutzbrille ab. Hörte das elektrische Surren und Singen der Kabel und sah die Gestalt auf sich zusegeln, bis sie einen halben Meter vor ihm zum Stillstand kam.
»Gut«, sagte Truls Berntsen, nahm den Finger vom Schalter, und das Surren verstummte.
»In Ordnung«, sagte Mikael und studierte das Papierziel mit den eingerissenen Löchern in Torso und Kopf. Nickte in Richtung der Zielscheibe mit dem komplett zerschossenen Kopf auf der Nachbarbahn. »Aber nicht so gut wie du.«
»Für die Prüfung allemal gut genug. Ich habe gehört, dass in diesem Jahr zehn Komma zwei Prozent durchgefallen sind.« Truls tauschte seine Zielscheibe mit geübten Händen aus, drückte erneut auf den Schalter, und die neue Gestalt rauschte mit einem Surren nach hinten. Vor der grünen Metallplatte etwa zwanzig Meter entfernt stoppte sie. Ein paar Bahnen links von ihnen hörte Mikael helles Lachen. Dann sah er zwei Frauen die Köpfe zusammenstecken und zu ihnen herüberschielen. Bestimmt PHS -Studentinnen, die ihn wiedererkannt hatten. Alle Geräusche hatten hier drinnen ihre eigene Frequenz, so dass Mikael noch durch das Knallen der Schüsse die Peitschenschläge auf dem Papier und das Einschlagen der Kugeln in die Metallplatte hören konnte. Gefolgt von dem leisen metallischen Klicken, wenn die Kugeln in den Behälter fielen, der unter dem Ziel stand und in dem alle Projektile gesammelt wurden.
»Mehr als zehn Prozent unserer Einsatzkräfte sind im Ernstfall nicht in der Lage, sich oder andere zu verteidigen. Was sagt der Herr Polizeipräsident dazu?«
»Nicht alle Polizisten können so viel trainieren wie du, Truls.«
»Du meinst, haben so viel Zeit wie ich, oder?«
Truls stieß sein irritierend grunzendes Lachen aus, während Mikael Bellman seinen Untergebenen und alten Schulfreund musterte. Die schief stehenden Zähne, um die Truls’ Eltern sich nie gekümmert hatten, das rote Zahnfleisch. Alles schien wie immer, doch irgendetwas war anders. Vielleicht lag das aber auch nur an der neuen Frisur. Oder hatte es mit der Suspendierung zu tun? Solche Dinge wirkten sich scheinbar auch bei Leuten aus, die sonst nicht sonderlich sensibel waren. Vielleicht gerade bei denen, die es nicht gewohnt waren, ständig und überall ihre Gefühle zu zeigen, sondern sie in ihrem Inneren verschlossen hielten und darauf hofften, dass sie vorübergingen. Gerade solche Menschen waren gefährdet, irgendwann zusammenzubrechen. Sich eine Kugel in den Kopf zu jagen.
Aber Truls wirkte zufrieden. Er lachte die ganze Zeit. Mikael hatte Truls einmal in seiner Jugend gesagt, dass man bei seinem Lachen eine Gänsehaut bekam und dass er versuchen sollte, anders zu lachen. Wie die anderen, sympathischer. Truls hatte daraufhin nur noch lauter gelacht und mit dem Finger auf Mikael gezeigt. Ohne Worte, nur mit diesem grunzend schnaubenden Lachen.
»Willst du nicht bald danach fragen?«, sagte Truls, als er sein Magazin lud.
»Wonach?«
»Nach dem Geld auf meinem Konto.«
Mikael verlagerte sein Gewicht auf das andere Bein. »Hast du mich deshalb hierherbestellt? Damit ich dich das frage?«
»Willst du nicht wissen, was das für Geld ist?«
»Warum sollte ich ausgerechnet jetzt auf eine Antwort drängen?«
»Du bist der Polizeipräsident.«
»Und du hast dich entschlossen, nichts zu sagen, ich finde das zwar dumm von dir, respektiere es aber.«
»Ach, tust du das?« Truls setzte das Magazin wieder ein. »Es könnte aber auch sein, dass du mich nicht bedrängst, weil du längst weißt , woher das Geld stammt, oder, Mikael?«
Mikael sah seinen alten Freund an, und jetzt konnte er erkennen, was anders war. In Truls’ Augen war wieder das irre Strahlen, das er früher immer dann
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