Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)
eine Movado im 1947er Design, die sie von Mikael zum Hochzeitstag bekommen hatte. Zwanzig nach eins. Sie lehnte sich in dem Sessel zurück, ließ den Blick durch die Lobby schweifen und fragte sich, ob sie ihn wiedererkennen würde, schließlich hatten sie sich eigentlich nur zweimal gesehen. Das erste Mal, als er ihr in der Polizeistation Stovner die Tür aufgehalten hatte, als sie zu Mikael wollte. Damals hatte er sich selbst vorgestellt. Ein charmanter Nordnorweger. Das andere Mal bei der Weihnachtsfeier auf der Wache in Stovner. Sie hatten getanzt, und er hatte sie etwas enger an sich gedrückt, als es eigentlich schicklich war. Nicht, dass sie etwas dagegen gehabt hätte, es war ein unschuldiger Flirt gewesen, eine Bestätigung, die sie sich gegönnt hatte, schließlich saß Mikael ja irgendwo im Raum, und die anderen Polizeifrauen tanzten auch mit den Kollegen ihrer Männer. Aber nicht nur Mikael hatte sie damals mit Argusaugen beobachtet. Ein anderer Mann hatte mit einem Drink in der Hand dicht neben der Tanzfläche gestanden. Truls Berntsen. Anschließend hatte Ulla Truls gefragt, ob er nicht mit ihr tanzen wolle, aber er hatte grinsend abgelehnt und gesagt, er sei kein großer Tänzer.
Runar. Sie hatte seinen Namen längst vergessen, nachdem sie ihn nie wiedergesehen oder etwas von ihm gehört hatte. Bis er sie nun ganz überraschend angerufen und um dieses Treffen gebeten hatte. Angeblich ging es um etwas Wichtiges, weshalb er auf einem persönlichen Treffen bestanden hatte. Er müsse ihr etwas zeigen, hatte er gesagt, wobei seine Stimme seltsam verzerrt geklungen hatte.
Sie hatte auf einen schnellen Kaffee eingewilligt, da sie am Vormittag ohnehin etwas in der Stadt zu erledigen hätte. Was gelogen war. Ebenso gelogen wie die Antwort, die sie Mikael auf seine Frage gegeben hatte, wo sie sei. Sie war nicht mit einer Freundin verabredet. Sie hatte das nicht geplant, aber die Frage war so überraschend gekommen. Und sie hatte im gleichen Moment erkannt, dass sie Mikael hätte erzählen müssen, dass sie einen seiner früheren Kollegen zum Kaffee treffen wollte. Warum hatte sie es nicht getan? Weil sie insgeheim ahnte, dass das, was er ihr zeigen wollte, mit Mikael zu tun hatte? Sie bereute es bereits, hier zu sein, und sah noch einmal auf die Uhr.
Ihr war aufgefallen, dass der Mann an der Rezeption sie schon ein paarmal angesehen hatte. Sie hatte ihr Cape abgelegt, unter dem sie einen Pullover und eine Hose trug, die ihre schlanke Silhouette betonten. Sie war nicht oft in der Stadt und hatte deshalb etwas mehr Zeit aufgewendet, sich zu schminken und die langen blonden Haare zu frisieren, die die Jungs in Manglerud immer dazu gebracht hatten, an ihr vorbeizufahren, um zu sehen, ob die Vorderseite hielt, was die Rückseite versprach. Ihre Blicke waren immer wieder eine Bestätigung für sie gewesen. Mikaels Vater hatte ihr einmal erzählt, dass sie aussah wie die Hübsche von The Mamas & The Papas, aber sie wusste nicht, wer das war, und hatte auch nie versucht, es herauszufinden.
Sie sah zur Schwingtür, durch die immer neue Menschen hereinströmten, aber keiner hatte den suchenden Blick, den sie erwartete.
Dann hörte sie das Pling des Fahrstuhls und sah eine großgewachsene Frau im Pelzmantel herauskommen. Isabelle Skøyen. Die Sozialsenatorin. Sie war schon einmal bei ihnen zu Hause gewesen, als Mikael den Empfang zu seiner Ernennung gegeben hatte. Eigentlich war es eine Einweihungsparty für das neue Haus gewesen, doch anstelle von Freunden hatte Mikael größtenteils Leute eingeladen, die wichtig für seine Karriere waren. Oder »ihre« Karriere, wie er es nannte. Truls Berntsen war einer der wenigen, den sie kannte, und er war nicht gerade der Typ, mit dem man sich den ganzen Abend unterhielt. Wobei sie dafür auch gar keine Zeit gehabt hätte, da sie als Gastgeberin alle Hände voll zu tun gehabt hatte.
Isabelle Skøyen schaute in ihre Richtung und wollte weitergehen, aber Ulla bemerkte ein kurzes Zögern, das zeigte, dass sie Ulla erkannt hatte und nun vor der Wahl stand, einfach so zu tun, als ob sie sie nicht erkannte, oder zu ihr zu gehen und ein paar Worte mit ihr zu wechseln. Letzteres hätte Ulla gerne vermieden. Es ging ihr manchmal so. Auch mit diesem Truls. In gewisser Weise mochte sie ihn, schließlich kannten sie sich seit ihrer Jugend, und er war nett und loyal. Aber trotzdem. Sie hoffte, dass Isabelle sich für die erste Variante entschied, und zu ihrer Erleichterung sah sie sie
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