Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)
beliebt, weil sie sowohl Einzelschüsse als auch Salven abfeuern konnte. Ein sanfter Druck auf den Abzug einer Odessa, und schon hatte man zwei Schüsse abgefeuert. Oder drei. Plötzlich kam ihr in den Sinn, dass Gusto Hanssen mit Kugeln des Kalibers getötet worden war, das man auch für eine Odessa brauchte, Makarov 9x18 mm.
»Die Waffe würde ich gerne mal sehen«, sagte sie langsam und beobachtete, wie Harrys Blick automatisch durch das Zimmer schweifte. Sie drehte sich um. Aber da war nichts, nur ein uralter schwarzer Eckschrank.
»Du hast nicht auf meine Frage geantwortet, was für ein Typ das war.«
»Das ist nicht wichtig«, sagte Harry. »Er ist seit langem außerhalb deines Zuständigkeitsbereichs.«
Beate nickte. »Du schützt jemanden, der dir fast das Leben genommen hätte?«
»Für mich zählt viel mehr, dass er es gerettet hat.«
»Schützt du ihn deshalb?«
»Die Frage, wen wir schützen und wen nicht, ist manchmal ein großes Rätsel, findest du nicht auch?«
»Stimmt«, sagte Beate. »Ich zum Beispiel. Ich beschütze Polizisten. Da ich Gesichter so gut wiedererkennen kann, war ich bei dem Verhör des Barkeepers im Come As You Are dabei. Du weißt schon, dieser Laden, in dem der Dealer von Asajev von einem großgewachsenen blonden Mann ermordet worden ist, der eine Narbe hatte, die vom Mundwinkel bis zum Ohr reichte. Ich habe dem Barkeeper Fotos gezeigt und lange auf ihn eingeredet. Du weißt ja, dass das visuelle Gedächtnis sehr leicht zu manipulieren ist, auf jeden Fall war der Mann sich irgendwann ziemlich sicher, dass der Mann in der Bar auf keinen Fall Harry Hole gewesen sein konnte.«
Harry sah sie an. Dann nickte er langsam. »Danke.«
»Ich sollte jetzt sagen, nichts zu danken«, sagte Beate und hob die Tasse an die Lippen. »Aber das stimmt nicht. Und ich habe auch eine Idee, wie du mir danken kannst.«
»Beate …«
»Ich beschütze Polizisten. Du weißt, dass ich es persönlich nehme, wenn Polizisten im Dienst getötet werden. Jack. Und mein Vater.« Ihre Hand zuckte ganz automatisch zu ihrem Ohrring. Der umgearbeitete Knopf hatte einmal an der Uniformjacke ihres Vaters gehangen. »Wir wissen nicht, wer als Nächster an der Reihe ist, aber ich habe mir vorgenommen, alles zu tun, was in meiner Macht steht, um diesen Teufel aufzuhalten, Harry. Alles. Verstehst du?«
Harry antwortete nicht.
»Tut mir leid, natürlich verstehst du mich«, sagte Beate leise. »Du denkst an deine eigenen Toten.«
Harry rieb seinen rechten Handrücken an der Kaffeetasse, als würde er frieren. Dann stand er auf, trat ans Fenster und blieb dort eine ganze Weile stehen, bis er zu reden begann.
»Wie du weißt, ist mal ein Mörder hierhergekommen, um Rakel und Oleg zu töten. Und das war meine Schuld.«
»Das ist lange her, Harry.«
»Das war gestern. Und es wird immer gestern gewesen sein. Nichts hat sich verändert, nichts. Trotzdem versuche ich es, gebe mir alle Mühe, damit wenigstens ich michändere.«
»Und klappt es?«
Harry zuckte mit den Schultern. »Mal so, mal so. Habe ich dir erzählt, dass ich es nie geschafft habe, Oleg rechtzeitig ein Geburtstagsgeschenk zu besorgen? Obwohl Rakel mich schon Wochen zuvor auf das bevorstehende Datum aufmerksam gemacht hat, gab es immer irgendetwas, das dieses Datum wieder verdrängt hat. Und wenn ich schließlich hierherkam und die Geburtstagsdeko sah, musste ich Jahr für Jahr den gleichen Trick anwenden.« Harry zog einen Mundwinkel zu einem halben Lächeln hoch. »Ich gab vor, Zigaretten kaufen zu müssen, stürzte zurück zum Auto und raste nach unten bis zur nächsten Tanke, wo ich dann ein paar CD s oder so gekauft habe. Natürlich hatte Oleg einen Verdacht. Deshalb hatten Rakel und ich einen Deal. Wenn ich zur Tür hereinkam, stand Oleg immer mit seinem vorwurfsvollen, dunklen Blick da und wartete auf mich. Doch bevor er mich durchsuchen konnte, kam Rakel zu mir und umarmte mich, als hätte sie mich wochenlang nicht gesehen. Und in dieser Umarmung zog sie die CD s oder anderen Geschenke raus, die ich hinten unter den Hosenbund geschoben hatte, versteckte sie und entfernte sich, während Oleg sich auf mich stürzte. Zehn Minuten später hatte Rakel das Geschenk eingepackt, mit Kärtchen und allem Drum und Dran.«
»Und?«
»Oleg hatte neulich Geburtstag. Er hat ein von mir eingepacktes Geschenk bekommen und meinte, dass er die Handschrift auf der Karte gar nicht kennen würde. Ich habe ihm gesagt, dass es dafür einen guten Grund gäbe, es
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