Koma: Kriminalroman (Ein Harry-Hole-Krimi) (German Edition)
fragte Bjørn. »Ich weiß nicht, ob meine Schauspielkünste dafür reichen.«
»Der Betreffende braucht seine Aufregung ja nicht zu verbergen«, sagte Ståle. »Es wäre im Gegenteil eher verdächtig, wenn ein Polizist sich nicht aufregen würde, wenn er am Telefon von dem neuerlichen Mord an einem Kollegen erfährt.«
»Ich mache mir mehr Sorgen, was die Sondereinheit und die Einsatzzentrale angeht«, sagte Katrine.
»Ja, ich weiß«, sagte Beate. »Der Apparat ist zu groß, um das durchzuführen, ohne dass Bellman und die große Ermittlungsgruppe davon erfahren. Hagen setzt Bellman in diesem Moment ins Bild.«
»Und was passiert mit unserer Gruppe, wenn er das erfährt?«
»Wenn wir Erfolg haben, spielt das keine Rolle, Katrine.« Beate fingerte ungeduldig an ihrem Ohrring herum. »Verschwinden wir hier, es macht keinen Sinn, womöglich noch gesehen zu werden. Und lasst nichts liegen.«
Katrine war einen Schritt in Richtung Tür gegangen, als sie mitten in der Bewegung erstarrte.
»Was ist?«, fragte Ståle.
»Habt ihr das gehört?«, flüsterte sie.
»Was denn?«
Sie hob einen Fuß an und sah mit zusammengekniffenen Augen zu Bjørn.
»Es knirscht.«
Beate lachte ihr überraschend leichtes, helles Lachen, während Bjørn mit einem Seufzen das Blatt hervorholte und sich noch einmal hinhockte.
»Na, so was«, sagte er.
»Was?«
»Das sind keine Krümel«, sagte er, beugte sich vor und sah unter den Küchentisch. »Altes Kaugummi. Reste davon kleben unter dem Tisch hier. Vermutlich ist es so ausgetrocknet, dass sich Stücke davon gelöst haben und heruntergefallen sind.«
»Vielleicht ist das ja vom Mörder«, schlug Ståle vor und gähnte. »Die Leute kleben ihre Kaugummis unter Kino- oder Bussitze, aber doch nicht unter den eigenen Esstisch.«
»Interessante Theorie«, sagte Bjørn und hielt ein Stückchen in das Licht, das durch das Fenster fiel. »Vermutlich hätten wir noch Monate nach der Tat DNA darin finden können, aber jetzt ist es komplett ausgetrocknet.«
»Komm schon, Sherlock«, sagte Katrine mit einem Grinsen. »Kau ein paarmal darauf rum und sag uns, was das für eine Marke –«
»Jetzt reicht’s aber«, fiel Beate ihr ins Wort. »Raus mit euch.«
Arnold Folkestad saß mit der Teetasse in der Hand da und sah Harry an. Dann kratzte er sich seinen roten Bart. Harry hatte gesehen, wie er Tannennadeln aus seinem Bart gezogen hatte, als er ins Büro gekommen war. Er wohnte in einem kleinen Häuschen irgendwo im Wald, das aber trotzdem so zentrumsnah gelegen war, dass er jeden Tag mit dem Fahrrad kommen konnte. Trotz seines langen Bartes, des Fahrrads und des Häuschens im Wald war Arnold jedoch keineswegs ein Umweltaktivist. Er war einfach nur ein geiziger Sonderling, der die Ruhe liebte.
»Du solltest sie bitten, sich zu mäßigen«, sagte Arnold leise, damit die anderen in der Kantine sie nicht hörten.
»Eigentlich wollte ich dich darum bitten«, sagte Harry. »Das wäre dann vielleicht etwas …« Er fand die richtigen Worte nicht. Wusste nicht, ob es sie gab. Falls ja, rangierten sie irgendwo zwischen »korrekter« und »weniger peinlich für alle Beteiligten«.
»Hat Harry Hole etwa Angst vor einem kleinen Mädchen, das sich ein bisschen in ihren Dozenten verguckt hat?« Arnold Folkestad amüsierte sich.
»Korrekter und weniger peinlich für alle Beteiligten.«
»Nee, nee, Harry, das musst du schon selber machen. Guck mal, da ist sie …« Arnold nickte in Richtung des Platzes vor dem Kantinenfenster. Silje Gravseng stand allein ein paar Meter von einer Gruppe Studenten entfernt, die lachend etwas diskutierten. Sie sah in den Himmel und schien etwas zu beobachten. Harry seufzte. »Vielleicht warte ich noch ein bisschen. Statistisch gesehen, gehen solche Lehrerschwärmereien bestimmt zu hundert Prozent wieder vorbei.«
»Apropos Statistik«, sagte Folkestad. »Ich habe gehört, dass dieser Patient, den Hagen im Reichshospital bewachen ließ, eines natürlichen Todes gestorben ist?«
»Ja, scheint so.«
»Das FBI hat dazu eine Statistik erarbeitet. Sie haben sich alle Fälle angeschaut, bei denen Kronzeugen noch vor einer offiziellen Befragung gestorben sind. Bei schweren Straftaten mit einem erwarteten Strafmaß von mehr als zehn Jahren starben die Zeugen zu achtundsiebzig Prozent an unnatürlichen Ursachen. Infolge dieser Statistik sind einige der Toten exhumiert und noch einmal obduziert worden, danach lag die Quote bei vierundneunzig Prozent.«
»Ist das
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