Koma
Bellows vorgeknöpft und ihn gefragt, was er eigentlich der attraktiven Studentin angetan habe, daß sie nie zu den Visiten erschien. Bellows wand sich innerlich, als er daran dachte, wie sehr Starks Bemerkung ins Schwarze traf. Schließlich lag Susan in eben diesem Augenblick schlummernd in seinem Bett.
Starks Frage fand ein unliebsames Echo bei den Kollegen, und Bellows hörte höhnisches Lachen sowie mehrere bissige Bemerkungen. Er fühlte, wie sein Gesicht rot anlief. Von diesem Moment an stand er mit dem Rücken an der Wand. Bevor er etwas antworten konnte, war Stark schon mitten in einem Vortrag über Präsenzpflichten, Berufsauffassung und wozu das alles nütze. Bellows entnahm dem allem die deutliche Warnung, daß jede weitere Abwesenheit von Susan auf sein Schuldkonto geschrieben werden würde. Ihm wurde bedeutet, die Sorge für die Teilnahme all seiner Studenten am Tagesablauf unterliege seiner persönlichen Verantwortung.
Während der Visite hatte Stark dann seine tückischste Seite hervorgekehrt. Fast an jedem Krankenbett hatte er Bellows knifflige Fragen gestellt, und in keinem Fall konnten seine Antworten den erbosten Chef zufriedenstellen. Sogar den anderen Stationsärzten fiel auf, daß Bellows am Pranger stand, und sie versuchten, ihn mit eigenen Antworten auf Fragen zu entlasten, die ganz eindeutig an Bellows gerichtet waren.
Am Ende der Visite hatte Stark ihn beiseite genommen und ihm klargemacht, seine Leistungen entsprächen derzeit weder dem eigenen Standard noch den Erwartungen, die an einen Chirurgen im Memorial gestellt würden. Schließlich war Stark dann mit dem herausgerückt, was ihn in Wahrheit beschäftigte. Nach einer längeren Pause hatte der Chef der Chirurgie ihn gefragt, welche Rolle er nun eigentlich wirklich in bezug auf die Drogen gespielt hätte, die im Schrank 338 gefunden worden waren. Bellows hatte jede Kenntnis von dem Vorfall strikt in Abrede gestellt, mit Ausnahme dessen, was Chandler ihm gesagt hatte. Er teilte Stark klipp und klar mit, daß er den Schrank mit der Nummer 338 etwa eine Woche lang benutzt habe, bevor ein Spind zum ständigen Gebrauch für ihn freigeworden sei. Stark hatte daraufhin nur gemeint, er verlange eine umgehende Aufklärung der Angelegenheit.
Allein die Tatsache, daß er auch nur entfernt mit so einer Affäre in Verbindung gebracht werden konnte, verursachte Bellows Angstgefühle. Seine zu Zwangsvorstellungen neigende Mentalität steigerte den Vorfall nahezu ins Unermeßliche. Sehr schnell erreichte er einen Zustand, bei dem seine Ängste sich aus sich selber nährten und so immer größer wurden. In Dingen, die sein Berufsleben berührten, neigte Bellows zu paranoischen Konflikten.
An diesem Morgen hatte er selbst zwei Operationen auf dem Plan, und er nahm die Studenten mit in den OP. Beim ersten Fall hatten Goldberg und Fairweather assistiert, was kaum mehr bedeutete, als daß sie sich gründlich die Hände waschen mußten. Beim zweiten waren Carpin und Niles an der Reihe. Bellows hatte Niles besonders aufmerksam behandelt und ihm Mut gemacht, mit überraschendem Erfolg. Es gab keine neuen Ohnmachtsanfälle, und Niles hatte sich als der Geschickteste von allen erwiesen. Deshalb durfte er den Patienten auch zunähen.
Erst beim Lunch hatte Bellows die Chance, sich Chandler vorzuknöpfen. Doch der dienstälteste Oberarzt wiederholte nur, was Bellows schon wußte, nämlich, daß Stark wegen der Drogengeschichte erbost war.
»Das ist doch wirklich blödsinnig«, rief Bellows. »Hat Stark denn wenigstens mit Walters geredet, damit ich aus der Schußlinie komme?«
»Mit Walters geredet?« wiederholte Chandler. »Das hab’ bis jetzt nicht mal ich. Das heißt, versucht hab’ ich’s schon, bin zu den OPs gegangen, aber Walters ist heute nicht aufgekreuzt. Den ganzen Tag ist er nicht gesehen worden, von niemandem.«
»Was? Walters?« Bellows war wirklich überrascht. »Seit einem Vierteljahrhundert hat der nicht einen Tag gefehlt.«
»Wenn ich’s Ihnen doch sage. Er ist einfach nicht da.«
Als Bellows diese Mitteilung verdaut hatte, ging er ins Personalbüro, um sich die private Telefonnummer von Walters geben zu lassen. Aber wie sich zeigte, hatte Walters kein Telefon, und Bellows mußte sich mit der Adresse begnügen: Stewart Street, Nummer 1833, in Roxbury.
Um halb zwei war Bellows einem Veitstanz nahe. Er hatte noch einmal in der OP-Zentrale angerufen. Nein, Walters war immer noch nicht aufgetaucht. Bellows traf eine Entscheidung.
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