Koma
letzte Nacht irgend so ’n Kerl ins Anatomiegebäude eingebrochen. Der muß ’ne ganz schöne Macke gehabt haben, nach dem zu urteilen, was er alles angestellt hat! Mit dem Feuerlöscher hat er rumgespritzt, die Decken von allen Leichen gerissen, die für den Anatomiekurs der Grünschnäbel auf den Tischen lagen. Dann hat er in der Gegend rumgeschossen und es zu allem Überfluß noch fertiggebracht, sich irgendwie in der Gefrierkammer einzuschließen. Da hat er dann mit den Leichen einen Mordszirkus veranstaltet. Hat ein Dutzend oder so runtergezerrt und ein paar mit Blei vollgepumpt. Kann man sich so was vorstellen?« Johnston schüttelte sich vor Lachen.
Bellows starrte Johnston an und dachte an Susan. Sie hatte ihm doch berichtet, sie sei wieder verfolgt worden, und jemand hätte versucht, sie umzubringen. Ob das der Kerl im Eiskasten gewesen sein konnte? Susan und ihr Verhalten wurden ihm immer unerklärlicher. Warum hatte sie ihm nicht mehr gesagt?
»Ist der Bursche jetzt tiefgefroren?« fragte er.
Johnston mußte sich zusammenreißen, um antworten zu können. »Nee, wenigstens nicht ganz. Mitten in der Nacht hat die Polizei einen Tip bekommen, anonymer Anruf, wie das so geht. Und weil sie dachten, es handelte sich um einen typischen Studentenulk, haben sie erst nachgesehen, als heute morgen die Frühschicht anrückte. Als sie hinkamen, saß der Kerl bewußtlos in der Ecke, Körpertemperatur weit unter normal. Aber die Jungs von der Hochschule haben ihn mühelos aufgetaut, es kam nicht mal zur Azidose. Für die Arschlöcher ’ne reife Leistung, wenn du mich fragst. Blöd ist nur, daß sie zwei geschlagene Stunden warteten, ehe sie mich konsultierten. Kannst du dir denken, wie die Schwestern in der Intensivstation den nennen?«
»Keine Ahnung.« Bellows hörte nur halb hin.
»Eisschwänzchen!« Johnston röhrte wieder los. »Ist das nicht komisch?«
»Wird er durchkommen?«
»Klar. Muß ihm nur einiges abschnippeln. Mindestens geht ein Teil von den Beinen hops. Wieviel amputiert werden muß, wird sich morgen rausstellen. Das arme Schwein könnte sogar sein Eisschwänzchen loswerden.«
»Hat man was über ihn rausgekriegt?«
»Wieso?«
»Na ja, wie er heißt, woher er kommt, du weißt schon.«
»Nichts. Er trug gefälschte Papiere bei sich. Deshalb interessiert sich die Polizei auch für die Sache. Er hat irgendwas von Chicago gemurmelt. Wirklich komisch.« Johnston ging zurück zum Pult.
Bellows sah nach seinem Gastrektomie-Patienten. Dessen Zustand war stabil. Dann überprüfte er das Krankenblatt. Die Verordnungen waren von Reid ausgeschrieben worden und fanden Bellows’ volle Zustimmung. Er dachte über den Mann im Kühlraum nach. Die Story hörte sich bizarr an. Ob das wirklich Susans Verfolger war? Aber wie, zum Teufel, hatte sie es fertiggebracht, ihn in die Gefrierkammer einzuschließen? Und warum hatte sie nichts davon gesagt? Wenn sie den Mann da hineingesperrt hatte, steckte sie juristisch in Schwierigkeiten. Ob der anonyme Anruf bei der Polizei von ihr gekommen war?
Bellows prüfte den Verband des Patienten. Er saß richtig und war nicht durchgeblutet. Die Infusion lief gut.
Aber er mußte sofort wieder an Susan denken und war nun ziemlich sicher, daß der Verrückte im Kühlfach der Mann war, der sie verfolgt hatte; in jedem Fall mußte sie erfahren, daß er in kritischem Zustand im Krankenhaus lag.
Bellows rief die Medizinische Hochschule an und ließ sich über das Wohnheim mit Susans Zimmer verbinden. Nachdem das Telefon zwölfmal geklingelt hatte, gab er auf. Danach rief er noch einmal die Heimzentrale an und hinterließ Susan die Nachricht, sie solle ihn sofort anrufen, wenn sie wiederkam.
Donnerstag
26. Februar
16 Uhr 23
Sechsunddreißig Dollar plus Steuern erschienen Susan reichlich viel für das geschmacklose Zimmer im Boston Motor Lodge. Trotzdem zahlte sie in diesem Fall gern. Susan fühlte sich erfrischt und ausgeruht – und vor allem in Sicherheit. Den Vormittag und Mittag hatte sie damit verbracht, noch einmal ihre Aufzeichnungen zu studieren. Alle Informationen, die sie über die Fälle im OP zusammengetragen hatte, paßten in ihre Theorie der Kohlenmonoxydvergiftung. Und die Details über die Fälle in der Inneren Abteilung ließen sich allesamt in das Denkschema bringen, das auf Vergiftung mit Succinylcholin hinauslief. Doch sie hatte immer noch keine Spur eines Motivs. Alle Fälle schienen nichts miteinander gemein zu haben.
Mehrfach hatte sie das
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