Koma
Memorial angerufen, um die Privatadresse von Walters zu erfahren, jedoch erfolglos. Einmal hatte sie sogar im Krankenhaus angerufen und Bellows ausrufen lassen, dann aber aufgelegt, bevor er antworten konnte. Langsam, aber unerbittlich beschlich Susan das Gefühl, endgültig in einer Sackgasse zu stecken. Es war wohl wirklich Zeit, sich an die Behörden zu wenden, sich von der Seele zu reden, was sie wußte, und dann Ferien zu machen. In ihrem dritten Studienjahr hatte sie Anrecht auf einen Monat Urlaub, und sicher würde sie sofort die Genehmigung bekommen. Sie würde wegfahren, weit weg, und alles vergessen. Ihr fiel Martinique ein. Sie schwärmte für die französische Lebensart und sehnte sich nach Sonne.
Der Türsteher vom Motel pfiff ihr ein Taxi heran, sie stieg ein und nannte dem Fahrer die Adresse: South Weymouth Street 1800 in Süd-Boston. Dann lehnte sie sich zurück.
Auf der Cambridge Street kamen sie nur schrittweise voran, dann wurde es etwas besser, aber in der Berkeley war es ganz schlimm. Der Taxifahrer machte Umwege, um den Hauptverkehr zu meiden. Sie fuhren zunächst durch die hübschen Gegenden des Südens, aber an der Massachusetts Avenue bog der Mann links ab, und der Ausblick wurde trostlos. In den Tiefen von Süd-Boston fühlte Susan sich schließlich hoffnungslos verloren. Die Häuser wurden immer monotoner, die Straßen lagen voller Unrat. Binnen kurzem fuhr das Taxi durch eine Gegend voller alter Lagerhäuser, verlassener Fabriken und finsterer Straßen. Fast jede Laterne war kaputt.
Als Susan aus dem Taxi stieg, wähnte sie sich in einer Umgebung, in der jedes Leben erloschen war. Die einzige Straßenlampe weit und breit, eine ultramoderne Peitschenleuchte, erhellte die Tür eines Gebäudes und ein großes Schild, auf dem in tiefblauen Buchstaben »Jefferson-Institut« stand. Darunter der Hinweis: »Erbaut aus Mitteln des Ministeriums für Gesundheit, Erziehung und Wohlfahrt, Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika, 1974.«
Das Jefferson-Institut war von einem über zweieinhalb Meter hohen Drahtzaun umgeben; das Gebäude selbst stand fünf bis sechs Meter von der Straße zurückgesetzt. Es war ein Prunkstück moderner Architektur mit einer weißen, auf Hochglanz polierten Fassade. Die Mauern waren um etwa zehn Grad nach innen geneigt. Nach etwa achteinhalb Metern begrenzte ein horizontaler Sims das Untergeschoß, bevor die Außenwände noch einmal im gleichen Winkel nach oben strebten. Auch das Obergeschoß war etwa achteinhalb Meter hoch. Außer der Eingangstür wies die Fassade des Untergeschosses keine einzige Öffnung auf. Das obere Stockwerk hatte Fenster, doch waren sie schießschartenartig zurückgesetzt und von der Straße aus nicht zu sehen. Allerdings drang Licht aus den rechtwinkligen Mauerlücken.
Das Gebäude nahm einen ganzen Straßenblock ein. Auf Susan wirkte es in dieser trostlosen Gegend auf merkwürdige Weise schön und erhaben. Offensichtlich sollte es Mittelpunkt und Anfang eines großangelegten Stadtsanierungsprojekts sein.
Susan ging zur Tür, die aus Stahl und mit Bronze beschlagen war und keine Klinke, keinerlei Schloß oder ähnliches aufwies. Rechts war ein Mikrofon in die Wand eingelassen. Als Susan auf der Fußplatte unmittelbar vor der Tür stand, wurde über einen Kontakt eine Tonbandstimme ausgelöst, die nach Namen und Zweck des Besuchs fragte. Die Stimme klang tief und vertrauenerweckend.
Susan antwortete, wobei sie bei »Zweck des Besuchs« unwillkürlich zögerte. Einen Moment war sie versucht, mit »Tourismus« zu antworten, aber dann kam ihr das zu albern vor; ihr war alles andere als zum Scherzen zumute. Schließlich sagte sie: »Zu wissenschaftlichen Zwecken.«
Statt einer Antwort leuchteten unter dem Mikrofon rot die Worte auf: »Bitte warten.« Dann kam ein grünes Signal und die Schrift: »Bitte weitergehen.« Gleichzeitig öffnete sich vor ihr lautlos die Tür, glitt nach rechts in die Mauer. Susan trat über die Schwelle.
Sie befand sich in einer blendend weißen Eingangshalle. Es gab weder Fenster noch Bilder oder sonst irgendeinen Wandschmuck. Die einzige Beleuchtung kam aus dem Fußboden, der aus milchigem Plastikmaterial bestand. Das Licht von unten gab der Halle einen zusätzlich kalten, futuristischen Effekt. Susan ging schnell weiter.
Am anderen Ende der Halle glitt genauso geräuschlos eine zweite Tür auf, und Susan betrat einen Raum, der offenbar ein geräumiges, ultramodernes Wartezimmer darstellte. Die Seite, von der
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