Koma
wieder auf den langen Bogen. »Harris hat nicht gelogen, als er von sechsen sprach. Die anderen fünf waren Patienten der medizinischen Abteilungen. Die Diagnosen lauteten: idiosynkratische Reaktion. Kommt Ihnen das nicht verdammt komisch vor?«
»Nein.«
»Ach, reden Sie nicht so neunmalklug«, antwortete Susan ungeduldig. »Der Begriff idiosynkratisch hört sich gewaltig an, aber das heißt doch nichts anderes, als daß die Leute keine Ahnung hatten, was passiert war.«
»Kann schon sein, meine liebe Susan, aber zufällig befinden wir uns hier in einem großen und renommierten Krankenhaus und nicht in einem Jazzkeller. Das Memorial ist beispielhaft für ganz Neu-England. Wissen Sie eigentlich, wie viele Todesfälle wir hier im Durchschnitt jeden Tag haben?«
»Aber Todesfälle lassen sich auf bestimmte Ursachen zurückführen. Und diese Koma-Fälle nicht … Bis jetzt nicht, jedenfalls.«
»Auch die Ursachen für Exitus-Fälle sind nicht immer gleich auf den ersten Blick erkennbar. Dafür ist die Autopsie da.«
»Und damit haben Sie den Nagel auf den Kopf getroffen«, gab Susan zurück. »Wenn jemand stirbt, laßt ihr eine Autopsie machen und analysiert die Todesursache, und dann wißt ihr Bescheid. Aber wie ist das mit den Koma-Fällen? Da gibt es keine Autopsie; denn diese Leute krebsen irgendwo zwischen Leben und Tod herum. Um so wichtiger ist es, hier der Sache nachzugehen. Man nimmt alle Symptome unter die Lupe, krempelt die Patienten geradezu von innen nach außen. Ist denn die Diagnose hier nicht mindestens ebenso wichtig, wenn nicht viel wichtiger als die Resultate einer Autopsie? Wenn wir nämlich rausbekommen, was mit diesen Patienten passiert ist, können wir sie am Ende aus ihrem Koma befreien. Oder, noch besser, solche Fälle in Zukunft von vornherein verhindern.«
»Aber sogar eine Autopsie bringt lange nicht immer die gewünschten Resultate«, wandte Bellows ein. »In vielen Fällen wird die Todesursache nie bekannt, ob mit oder ohne Autopsie. Zufällig weiß ich, daß heute zwei Patienten gestorben sind, und ich bin sehr skeptisch, ob dabei eine Diagnose rauskommt.«
»Und warum sind Sie da so skeptisch?« fragte Susan.
»Weil bei beiden Patienten die Atemtätigkeit aussetzte. Die hörten offenbar einfach auf, Luft zu holen, ganz ruhig und ohne jede Vorwarnung. Man fand sie tot auf. Und in solchen Fällen läßt sich keineswegs immer die Ursache klären.«
Bellows hatte sich Susans Interesse gesichert. Sie starrte ihn an, unverwandt und ohne zu blinzeln.
»He, was ist los? Sind Sie okay?« Bellows fuhr mit der Hand vor ihren Augen auf und ab. Schließlich sah sie wieder auf den Computerbogen.
»Was, zum Teufel, haben Sie?« fragte Bellows. »Psychomotorische Epilepsie oder so was Ähnliches?«
»Quatsch. Sie sagten, diese Patienten heute sind an Atemstillstand gestorben?«
»Offensichtlich. Ich meine, sie hörten einfach zu atmen auf. Meldeten sich ganz leise ab.«
»Weswegen waren sie im Krankenhaus?«
»Weiß nicht genau. Der eine hatte was am Bein. Vielleicht Venenentzündung. Kann sein, daß sie auf eine Lungenembolie stoßen. Der andere hatte Gesichtslähmung.«
»Bekamen sie Infusionen?«
»Weiß ich nicht mehr, kann gut sein. Warum fragen Sie?«
Aber Susan biß sich nur auf die Unterlippe und grübelte über das nach, was ihr Bellows mitgeteilt hatte.
»Mark«, sagte sie schließlich, »wissen Sie, was? Diese von Ihnen erwähnten Todesfälle könnten mit unseren Koma-Opfern verwandt sein.« Susan klopfte mit dem Handrücken auf den Computerausdruck. »Vielleicht sind Sie da auf einer heißen Spur. Wie hießen die Leute, wissen Sie das noch?«
»Um Himmels willen, Susan, die Sache hat sich Ihnen aufs Hirn geschlagen. Sie arbeiten zu lange, und jetzt haben Sie Halluzinationen.« Er setzte die bewährte Arzt-Patienten-Miene auf. »Machen Sie sich nichts draus, das passiert den Besten von uns, wenn wir zwei oder drei Nächte nicht ins Bett gekommen sind.«
»Mark, lassen Sie den Blödsinn. Mir ist es Ernst.«
»Weiß ich. Das ist es ja gerade, was mir Sorgen macht. Warum legen Sie nicht mal eine Pause ein und fangen in zwei, drei Tagen wieder an? Dann gehen Sie vielleicht objektiver an die Sache ran. Ich mach’ Ihnen einen Vorschlag. Morgen abend hab’ ich frei, und mit etwas Glück komme ich um sieben hier raus. Wie wär’s dann mit ’nem Abendessen? Sie sind zwar erst einen Tag hier, aber Sie müssen auch mal raus, genau wie ich.«
Bellows hatte eigentlich gar nicht
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