Koma
Wie ein Verrückter kam er hinter seinem Tisch hervorgeschossen und wollte mich offensichtlich aus dem Raum prügeln.«
»Vielleicht haben Sie ihn scharfgemacht?«
»Wieso?«
»Kann doch sein, daß er auch sexuell auf Sie reagiert hat.«
»Nun hören Sie mal, Mark!«
»Das meine ich im Ernst.«
»Mark, der Mensch ist Arzt, Professor, Abteilungschef!«
»Muß er deshalb sexuell unempfindlich sein?«
»Jetzt kann ich Ihnen Absurdität vorwerfen.«
»Wieso? Eine Menge Ärzte stehen unter einem derartigen beruflichen Streß, daß sie nicht mehr in der Lage sind, auf normale menschliche und soziale Krisen angemessen zu reagieren. Unter psychologisch-sozialen Aspekten rangiert die Ärzteschaft nicht eben an der Spitze, um es gelinde auszudrücken.«
»Sprechen Sie da auch für sich selbst?«
»Schon möglich. Susan, Sie dürfen nicht vergessen, daß Sie eine ziemlich verführerische Person sind.«
»Sie können mich mal …«
Bellows sah Susan völlig konsterniert an. Dann blickte er in die Runde, um zu prüfen, ob jemand zugehört hatte. Ihm war plötzlich nur allzudeutlich bewußt, daß sie im überfüllten Café saßen. Schnell hob er seine Kaffeetasse. Über den Rand hinweg starrte er Susan minutenlang an. Sie erwiderte seinen Blick.
»Warum haben Sie das gesagt?« Bellows wagte kaum mehr als ein Flüstern.
»Weil Sie’s nicht anders verdient haben. Wenn Sie sagen, ich bin verführerisch, meinen Sie doch damit, ich versuchte mein Heil in der Verführung. Da irren Sie sich aber gewaltig.«
»Na gut, vielleicht war das Wort schlecht gewählt. Wollte damit ja nicht sagen, es wäre Ihre Schuld. Aber Sie sind nun mal eine attraktive Frau und …«
»Okay, aber zwischen attraktiv und verführerisch ist ein Riesenunterschied.«
»Gut, gut. Ich meine ja attraktiv. Das schließt doch das Sexuelle ein. Und manchen Leuten machen Sie damit bestimmt zu schaffen. Aber ich wollte keinen Streit mit Ihnen anfangen, Susan. Außerdem muß ich los. Hab’ in einer Viertelstunde ’ne Operation. Wenn Sie wollen, können wir heute abend beim Essen weiter darüber reden. Das heißt, sofern Sie noch Lust dazu haben.« Bellows nahm sein Tablett und machte Anstalten aufzustehen.
»Klar. Essen ist prima.«
»Und bis dahin könnten Sie doch mal versuchen, sich normal zu benehmen, oder?«
»Ich habe noch ein Eisen im Feuer.«
»Und das wäre?«
»Stark. Wenn der nicht mitmacht, muß ich aufgeben. Ohne Unterstützung bin ich aufgeschmissen, es sei denn, Sie würden mir die Daten vom Computer besorgen, Mark.«
Bellows ließ das Tablett wieder auf den Tisch sinken. »Susan, um Himmels willen, verlangen Sie so was nicht von mir! Ich kann das einfach nicht! Und was Stark betrifft: Susan, Sie sind wirklich verrückt. Der frißt Sie doch bei lebendigem Leibe. Im Vergleich zu Stark ist Harris noch ein sanftes Lamm.«
»Das Risiko muß ich eingehen. Und wahrscheinlich ist es kleiner als eine leichte Operation hier im Memorial.«
»Das ist unfair.«
»Warum haben Sie Berman nicht gefragt, ob er das fair findet?«
»Kann ich nicht mehr.«
»Können Sie nicht mehr?« Susan wartete ängstlich, daß Bellows seine Antwort näher erläuterte. Sie wollte nicht an die schlimmste Möglichkeit denken, aber sie stand ihr unwillkürlich vor Augen. Bellows verließ mit seinem Tablett den Tisch, ohne auf Susans Frage einzugehen.
»Er lebt doch noch, nicht wahr?« In Susans Stimme schwang Verzweiflung mit. Sie stand auf und lief hinter Bellows her.
»Sofern Sie das bloße Schlagen des Herzens Leben nennen wollen, jawohl, dann lebt er noch.«
»Liegt er im Aufwachsaal?«
»Nein.«
»Auf der Intensivstation?«
»Nein.«
»Okay, ich geb’s auf. Also, wo liegt er?«
Bellows und Susan stellten ihre Tabletts ab und verließen gemeinsam das Café. Sofort wurden sie vom Getriebe in der großen Halle aufgesogen, und die Menge zwang sie, ihre Schritte zu beschleunigen.
»Er wurde in das Jefferson-Institut in Süd-Boston verlegt.«
»Was, zum Teufel, ist das Jefferson-Institut?«
»Eine Intensivpflege-Einrichtung. Sie ist Bestandteil des Gesundheits-Versorgungs-Programms. Dahinter steht der Gedanke, Kosten einzusparen, indem man die Intensivversorgung von Patienten rationalisiert, das heißt, diese Kranken in großen Pflegeeinheiten zusammenfaßt. Das Institut wird von privater Seite betrieben, wurde aber mit Regierungsgeldern gebaut. Konzeption und Einzelpläne stammen aus der Harvard-Untersuchung über die Erfordernisse der
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