Koma
für Sie schon so weit aus dem Fenster gelehnt, daß ich herauszufallen drohe.«
Susan spürte den Wunsch, Bellows den Arm um die Schulter zu legen, nur so, als beruhigende Geste. Sie sah zu ihm auf.
»Es tut mir leid, Mark, wenn ich Ihnen Schwierigkeiten bereite, wirklich, das sag’ ich nicht nur so. Und Sie glauben mir hoffentlich, daß ich es nicht mit Absicht getan habe. Ich geb’ auch gern zu: Die ganze Angelegenheit wächst mir so sehr über den Kopf, daß es geradezu merkwürdig ist. Es fing alles mit einer Gefühlskrise an. Nancy Greenly ist genauso alt wie ich, und ich selbst hab’ früher gelegentlich Unregelmäßigkeiten bei der Periode gehabt, bestimmt so ähnlich wie Nancy Greenly. Und ich kann nichts dagegen tun … Ich fühle mich irgendwie mit ihr verbunden. Und dann die Sache mit Berman … Was für ein verdammter Zufall! Übrigens, ist bei Berman ein EEG gemacht worden?«
»Ja. Das Gehirn ist hin.«
Susan suchte in Bellows’ Zügen nach irgendeiner Regung, einer Spur von Betroffenheit. Bellows nippte an seinem Kaffee.
»Das Gehirn ist hin?«
»Ja, hin.«
Sie biß sich auf die Unterlippe und blickte in ihre eigene Tasse. Auf der braunen Oberfläche schwamm ein schimmernder Fettfleck. Obwohl sie diese Nachricht fast erwartet hatte, traf sie sie wie ein Schock, und nach der Schrecksekunde mußte sie ihre ganze Kraft aufwenden, um ihre Gefühle zu bezwingen.
»Alles in Ordnung?« Bellows hob ihr Kinn an.
»Sagen Sie mal ’nen Moment gar nichts.« Susan wagte nicht, ihn anzusehen. Sie wollte um Himmels willen nicht weinen, aber genau das würde geschehen, wenn Bellows weitersprach. Bellows spürte offenbar, was los war, und schwieg, beobachtete Susan allerdings genau.
Als sie nach ein paar Minuten aufsah, waren ihre Lider leicht gerötet. Sie vermied es immer noch, ihm in die Augen zu blicken. »Na ja«, sagte sie, »wie dem auch sei, die Sache fing mit einem rein gefühlsmäßigen Engagement an, aber sehr bald kam die intellektuelle Herausforderung dazu. Ich glaubte nämlich wirklich, auf etwas gestoßen zu sein … auf eine neue Krankheit oder bisher unbekannte Narkosekomplikationen, ein neues Syndrom oder ähnliches. Und dann kam die zweite Überraschung. Die ganze Sache erschien plötzlich unendlich viel größer und drohender, als ich ursprünglich auch nur geahnt hatte. Nicht nur in der Chirurgie haben sich Koma-Fälle ereignet, sondern auch bei den Internisten. Und obendrein gab es diese Todesfälle, von denen Sie mir berichteten. Ich weiß, das mag in Ihren Ohren verrückt klingen, aber ich glaube bestimmt, daß da ein Zusammenhang besteht, und nicht nur das: Der Pathologe, mit dem ich sprach, deutete an, daß die beiden nicht die einzigen waren. Meine Intuition sagt mir, hinter all dem steckt irgend etwas … Ich weiß nicht, wie ich es ausdrücken soll … Für mich ist das irgendwie übernatürlich … meinetwegen, sagen Sie dämonisch …«
»Aha, Paranoia.«
»Ich kann doch nichts dafür, Mark. Denken Sie nur mal an die Reaktionen von Nelson und Harris, die waren doch ausgesprochen merkwürdig. Der Ausbruch von Harris stand in keinerlei Verhältnis zum Anlaß.«
Bellows schlug sich melodramatisch mit der Handfläche mehrmals gegen die Stirn. »Susan, jetzt wird mir alles klar. Sie sind nachts zu lange aufgeblieben und haben sich Horrorfilme angesehen. Geben Sie’s zu, Susan, oder ich muß annehmen, daß ein Dachschaden vorliegt. Das alles ist doch völlig absurd! Was argwöhnen Sie eigentlich? Daß hier irgendwelche finsteren Einflüsse herrschen? Oder im Memorial ein übergeschnappter Killer umgeht, der Leute mit ungefährlichen Krankheiten haßt? Susan, wenn Sie schon solche extravaganten Hypothesen aufstellen, dann müssen Sie auch die Spur eines Motivs mitliefern. Ich meine, verrückte Killer sind für Hollywood sehr geeignet, aber in unserem Fall doch ein bißchen weit hergeholt. Ich gebe ja zu, daß Harris’ Vorstellung merkwürdig anmutet. Trotzdem lassen sich bestimmt Gründe für sein Verhalten finden.«
»Versuchen Sie’s doch.«
»Na schön. Wenn Sie mich fragen, Harris hat mit dieser Koma-Geschichte schon selbst genug Ärger. Schließlich handelt es sich da um seine Abteilung, und er trägt die Verantwortung. Und dann kommt da eine junge Medizinstudentin anspaziert und dreht das Messer noch in der Wunde um. Jemand, der unter derartigem Streß steht, kann schon mal aus der Haut fahren, meinen Sie nicht?«
»Bei Harris war das fast buchstäblich der Fall.
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