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Koma

Koma

Titel: Koma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robin Cook
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Ebenso ziellos wie auf dem Beacon Hill stieg sie die Treppe zur Longfellows Brücke hinauf. Die Seitenmauer war mit Schmierereien bedeckt. Susan blieb mehrmals stehen und las die sinnlosen Sprüche und unbekannten Namen. Auf der Mitte der Brücke machte sie halt. Sie sah den Charles River hinauf, nach Cambridge und Harvard. Der Fluß zeigte ein seltsames Muster aus Eisschollen und schwarzem Wasser. Auf einer der Schollen stand regungslos eine Möwenfamilie.
    Susan blickte nach links, in die Richtung, aus der sie gekommen war. Was zuerst ihre Aufmerksamkeit dorthin gelenkt hatte, konnte sie nicht sagen. Sie sah einen Mann mit Hut und dunklem Mantel, der stehenblieb und auf den Fluß blickte, als Susan sich umdrehte. Ohne zunächst einen Gedanken an den Mann zu verschwenden, widmete sie sich wieder der Szenerie und ihren Grübeleien. Aber nach fünf oder zehn Minuten fiel ihr auf, daß der Mann immer noch nicht weitergegangen war. Er rauchte und sah flußaufwärts und schien den Regen ebensowenig zu spüren wie Susan. Sie dachte über den seltsamen Zufall nach: Da standen an einem kalten, regnerischen Februartag gleich zwei Leute grübelnd auf einer Brücke, die sogar bei schönem Wetter gewöhnlich menschenleer war.
    Susan ging weiter. Auf der Cambridge-Seite stieg sie den Uferweg zum Bootshaus hinauf. Die Feuchtigkeit drang ihr in den Kragen. Sie fror und entschied, daß ein heißes Bad ihr guttun würde. Sie beschloß, ins Studentenheim zurückzukehren.
    Abrupt machte sie kehrt, um über die Brücke zurückzugehen und mit der Bahn nach Hause zu fahren. Doch sie blieb stehen. Hundert Meter von ihr entfernt stand der Mann mit dem dunklen Mantel. Er starrte noch immer auf den Fluß. Susan war unbehaglich zumute; warum, wußte sie selbst nicht. Sie änderte ihren Plan, um nicht an dem Mann vorbei zu müssen. Sie würde die Bahn an der Kendall Station nehmen.
    Als sie den Memorial Drive überquerte, merkte sie, daß der Mann sich in Bewegung gesetzt hatte und ihr folgte. Susan redete sich zu, daß sie trotz aller Aufregungen nicht den geringsten Grund hätte, plötzlich unter Verfolgungswahn zu leiden. Vielleicht war sie innerlich doch angeschlagener, als es ihr bewußt war, überlegte sie. Nur um ganz sicher zu gehen, bog sie um die nächste Ecke und ging bis zum Ende des Blocks. Vor dem Portal der Bibliothek für Politische Wissenschaften blieb sie stehen. Um nicht aufzufallen, machte sie sich an ihrem Paket zu schaffen.
    Im nächsten Moment kam auch schon der Mann ins Blickfeld. Er bog nicht ab, sondern überquerte die Straße und verschwand auf der anderen Seite. Trotzdem konnte Susan das Gefühl nicht loswerden, daß er sie verfolgte. Sie hatte die Spur seines Zögerns, als er sie dort stehen sah, mehr gefühlt als tatsächlich wahrgenommen. Susan ging die Stufen zur Bibliothek hinauf. Dort suchte sie in der Damentoilette Zuflucht und gönnte sich ein paar Minuten Ruhe. Als sie in den Spiegel sah, blickte ihr ein ängstliches Gesicht entgegen. Sie überlegte, ob sie irgend jemanden zu Hilfe rufen sollte, verwarf den Gedanken aber wieder. Was konnte sie sagen, ohne sich lächerlich zu machen? Außerdem fühlte sie sich nach einiger Zeit besser und beschloß, das Ganze als Produkt ihrer gereizten Phantasie zu betrachten.
    Als sie die Toilette verließ, hatte sie sich genügend gefangen, um die Architektur der Bibliothek zu bewundern. Sie war ultramodern konstruiert, hatte jedoch ein Flair von Würde und Weite. Hier gab es nicht das erdrückende Gefühl, sich in einem Kramladen zu befinden, das Susan in den meisten Universitätsbibliotheken befiel. Die Stühle waren mit farbigem Leinen bespannt. Regale und Katalogpulte bestanden aus heller, glänzend polierter Eiche.
    Und dann sah Susan den Mann wieder! Diesmal ganz aus der Nähe. Sie wußte, daß er es war, obwohl er nicht von der Zeitschrift aufsah, in die er sich vertieft hatte. Er wirkte in dieser Umgebung mit seinem dunklen Mantel, dem weißen Hemd und der weißen Krawatte auch völlig fehl am Platz. Sein eng am Schädel klebendes Haar glänzte vor Pomade. Sein Gesicht war vernarbt.
    Susan stieg ins Zwischengeschoß hinauf und behielt den Mann so gut sie konnte im Auge. Der blickte nicht von seiner Lektüre auf. Von draußen hatte Susan einen Verbindungsgang zwischen der Bibliothek und dem nächsten Gebäude gesehen. Jetzt suchte und fand sie die Überführung und ging schnell hinüber. Das Nachbarhaus beherbergte Hörsäle und Verwaltungsräume, und es herrschte

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