Komische Voegel
hüpfend zwei Mäuerchen überwand, aber als sie um die Ecke bog, verzichtete ich auf weitere Beobachtung. Alles hat eine Grenze, auch das, was der Mensch an einem Tag verkraften kann.
Anschließend sind wir eine kleine Runde gefahren, extra für die Leute aus Deutschland und Zaandam. Am Campingplatz Waddenzee hielten wir auf der asphaltierten Deichstraße. Es war Niedrigwasser, das Meer sah aus wie auf einem Kitschgemälde aus dem frühen 20. Jahrhundert. Die meisten blieben in den Autos sitzen, der Wind war ziemlich stark. Ich stieg aus und schlitterte über die Basaltblöcke nach unten. In meinen teuren Lederschuhen stapfte ich durch den Schlick und rupfte Hände voll frischen Queller aus dem Boden. Völlig kostenlos. Am nächsten Tag habe ich ihn ganz allein aufgegessen.
Ewigkeit
Montag, 4. August 2008
Gestern abend wartete ich im Bahnhof Ermelo auf meinen Zug. Es hatte wie aus Eimern geschüttet und regnete immer noch leicht, wegen der dichten Bewölkung wurde es früh dunkel, und ich hörte einen der schönsten Laute, die man
hören kann. Aus dem Wald, dort, wo die psychiatrische Klinik steht. Den Ruf eines Pfaus. Sehen muß ich Pfauen nicht unbedingt, eigentlich sehe ich sie sogar lieber nicht, weil ich sie viel zu protzig und dadurch schon wieder häßlich finde. Im Grunde ist mir ein Truthahn lieber, der ist wenigstens richtig häßlich mit seinem nackten Hals und den überflüssigen, wabbelnden Fleischlappen, Truthähne sind also viel ehrlichere Vögel als Pfaue, wenn auch ihr Ruf weniger schön ist, insofern steht es eins zu eins. Kein anderer Laut ist so melancholisch, so wehmutsvoll, so nostalgisch wie der Ruf eines Pfaus. »Eeewig«, ruft der Pfau, meistens nur einmal. Folglich nicht, um mit anderen Pfauen zu kommunizieren, vermute ich, sondern nur, um mitzuteilen, daß er da ist.
Und gerade wenn kein Pfau zu sehen ist, wenn nur dieser Ruf aus einem dunklen Wald zu mir dringt, muß ich einfach an das Schloß Het Loo an einem warmen Sommertag im Jahr 1979 denken oder an ein anderes Schloß, in Dänemark, am 14. Juni 2003. Pfauen können einen auf kürzestem Weg in die Vergangenheit zurückschicken. Dabei weiß ich, daß morgen auf demselben Bahnsteig jemand anders den Pfauenruf hören wird und in vierzehn Jahren andere Menschen andere Pfauen, vielleicht auf anderen Bahnhöfen, Schlössern oder Landsitzen. Und wie man kaum anders kann, als an Vergangenes zu denken, so kann man auch den Drang zu antworten kaum unterdrücken, den Wunsch, dem Rufer mitzuteilen, daß man ihn gehört hat, daß seine Botschaft angekommen ist und etwas in Gang gesetzt hat. Natürlich auch, um dem eitlen Fatzke ein Zeichen der eigenen Gegenwart zu geben. Doch auf dem Bahnhof Ermelo war es ziemlich voll. Manchmal ist es mir egal, was die Leute von mir denken, aber diesmal nicht, und deshalb rief ich nicht: »Eeewig.« Statt dessen klocklocklocklockte ich leise
vor mich hin und dachte an überflüssige, wabbelnde Fleischlappen und daran, wie widerlich ich Putenfilet eigentlich finde.
Alarmglocke
33. Woche 2008
Was die Tier- und Pflanzenwelt angeht, leben wir in einer Fünf-vor-zwölf-Kultur. Erst wenn eine Tier- oder Pflanzenart stark gefährdet oder fast verschwunden ist, wird in den Medien die Alarmglocke geläutet (wobei man sich gern klangvoller Klischees bedient). Gerade habe ich im Noordhollands Dagblad einen ausführlichen Artikel über die Halbierung des Rauchschwalbenbestands gelesen und mir dabei gedacht, daß diese Entwicklung ja wohl absehbar gewesen ist. Immer mehr kleine bäuerliche Betriebe werden geschlossen, und immer noch verschwinden insektenreiche Wallhecken und Gebüsche aus der Landschaft. Man braucht nur zwei und zwei zusammenzuzählen. Wenn man sämtliche alten Scheunen und Kirchtürme abreißt, wird die Schleiereule sich verabschieden; wenn man Gewässer verbaut, wird uns der Fischotter verlassen; wenn man Tischdecken nicht mehr im Freien ausschüttelt, wird der Haussperling anderswo sein Glück versuchen müssen.
Im Fall der Rauchschwalbe (und des Haussperlings) könnte man noch von nicht beabsichtigten Veränderungen sprechen, aber zumindest bei großen Eingriffen in die Landschaft, an deren Planung eine Vielzahl von Spezialisten beteiligt ist, müßte man ja eigentlich von vornherein an die absehbaren Auswirkungen denken. Ich glaube, hier herrscht ein
fach Gedankenlosigkeit. Da man die bisherigen Resultate des Wandels in der Landwirtschaft oder die Folgen verkehrstechnischer oder
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