Komische Voegel
tief hinunter. Sie blieb sitzen, flach auf den Asphalt geduckt. Jetzt kamen
zwei Männer aus dem Pub, traten unerschrocken auf die Straße und griffen sich die Möwe. Sie setzten sie auf dem Gehweg ab und blieben noch kurz stehen, um sie zu beobachten. Die Möwe stand. Sie lebte. Leider war es der falsche Gehweg, wenn sie von hier fortwollte, mußte sie erst irgendwie die Straße überqueren.
Wir waren zwei unentschlossene Männer auf der anderen Straßenseite, hier floß in einiger Entfernung der Fluß. Auf einmal war uns ein bißchen übel von den vielen Gläsern Ale. Aber im Grunde, wurde mir beim Weitergehen klar, war mir übel von meinem Zögern, von meinem Hoffen auf eine Lösung des Problems durch andere. In den nächsten Tagen wurden wir von allen Möwen, denen wir begegneten, hämisch ausgelacht. Und das waren sehr, sehr viele.
Robben
36. Woche 2008
Auf den Orkneys, wo die mittlere Sommertemperatur bei vierzehn Grad liegt, wo es unablässig stürmt und wo Regen so selbstverständlich ist wie das Atmen, wachsen kaum Bäume. Der Bergahorn scheint der einzige Baum zu sein, der es hier einigermaßen aushält, aber die meisten sind eher Strauch als Baum. Gedrungen, als wüßten sie, daß der tobende Winterwind alle vorwitzigen Äste und Spitzen sofort abbrechen würde. Erstaunlich ist die überwältigende Menge an Fuchsien, unter denen rote Teppiche liegen, denn auch im Sommer weht es hier ohne Unterlaß. Daß ausgerechnet ein Strauch wie die Fuchsie – bei uns gewöhnlich nur als Zierpflanze bekannt, die am Ende des Sommers schon auf
dem Kompost landet, und so zart und zimperlich, daß man sie im Frühjahr kaum einzupflanzen wagt – sich in einem derart rauhen Klima als besonders widerstandsfähig erweist, empfand ich geradezu als herzerwärmend, und so etwas brauchte ich, denn es war nun einmal recht frisch.
Auch viel Heidekraut wächst dort. Wenn ich mich in einer ausgedehnten Heidelandschaft umsehe, stelle ich mir aus irgendeinem Grund immer vor, daß die Erde ursprünglich so gedacht war. Ein Urweltgefühl übermannt mich dann. Wir wanderten nach Mull Head, auf einem Weg, der an einer rauhen Steilküste entlangführt. Hügel, Sturm, salzige Tröpfchen, die herangeweht werden, weit und breit kein Baum. Heide und aufgewühlte See, tiefe Einsamkeit. Und plötzlich zwei Kegelrobben in den Wellen. Wir winkten ihnen zu. Zu den Dingen, die wildlebende Robben und Seehunde so sympathisch machen, gehört auch, daß sie auf Menschen zu reagieren scheinen. Sie heben den Kopf ein gutes Stück aus dem Wasser, als wollten sie genau sehen, wer sie da beobachtet. Wenn man selbst im Wasser ist und ein wenig Glück hat, schwimmen sie ein Stück mit. Die Robbenschützerin Lenie ‘t Hart habe ich einmal sagen hören, daß sie einen übel beißen können, aber das glaube ich einfach nicht.
Während der Überfahrt auf der Fähre, alt, klapprig und viel zu klein für das große Meer, vor allem bei starkem Wind, halfen mir die Robben, die Angst vor dem Ertrinken zu unterdrücken. Dutzende schwammen neben dem stampfenden Schiffchen her und beobachteten mit sanften braunen Augen uns klägliche Landratten. Die werden mich bestimmt retten, dachte ich; wenn wir sinken, nimmt mich eine von ihnen auf den Rücken und legt mich am Strand ab. So muß das sein in einer Urwelt.
Boris und Daan
39. Woche 2008
Vor einiger Zeit bin ich Boris wiederbegegnet, dem Rauhhaardackel, inzwischen elf. Kurz nach unserem Wiedersehen hat man ihn zum Tierarzt gebracht, um ihn einschläfern zu lassen, weil bei einem früheren Tierarztbesuch eine sehr schlimme Krankheit diagnostiziert worden war. Doch diesmal war nicht der Praxisinhaber, sondern ein Vertreter anwesend, der sicherheitshalber selbst »noch mal kurz fühlen« wollte. Und siehe da, alles war in Ordnung, das heißt abgesehen von einem verstopften Harnleiter. Der Vertretungstierarzt machte aus Boris auf der Stelle eine Art Weibchen, indem er seinen Bauch mit einer zusätzlichen Öffnung versah, und so wird Boris vielleicht noch viele Jahre durchhalten. Ein paar Wochen nach dem Eingriff war ich wieder in Almere und konnte mit Boris spielen. Ich führte mich dabei ein bißchen wild auf, auch Boris führte sich ein bißchen wild auf und versuchte dann rührenderweise meinen Arm zu decken. Etwas halbherzig, aber das wunderte niemanden.
Am nächsten Tag ging ich zu Schreibwaren Vlieger, um zwei neue Signierkugelschreiber zu kaufen, denn der alte hatte ausgedient. In der Schreibgeräte-Abteilung
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