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Komm her, Kleiner

Komm her, Kleiner

Titel: Komm her, Kleiner
Autoren: Lola Lindberg
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einem Abstellraum, eigentlich wenig glamourös ist.
    Irgendwann aber wurde das alles langweilig. Und die langen Nächte begannen, ihren Tribut zu fordern: Ich sah scheiße aus, habe mich in der Uni kaum wach halten können. Mein Agent, wenn man den schmierigen Typen so nennen kann, hat mir Pillen angeboten: „Zwei davon, und du tanzt bis zum Morgengrauen. Dann eine von den anderen, und du schläfst wie ein Baby. Nimm noch ein paar Vitamine dazu, dann geht das schon klar.“ Ich habe lieber das Handtuch geschmissen. Und das Studium direkt dazu. Die Welt wird einen Kommunikationswissenschaftler weniger verkraften können.
    Seitdem arbeite ich für Reiners Rennsemmel . Wir verkaufen in großen Bürogebäuden Sandwichs, belegte Baguettes, Gebäck, Getränke. Ein harmloser, netter Job: morgens früh aufstehen, alles vorbereiten, ab neun die verschiedenen Agenturen, Versicherungen und Verlage abklappern, die keine Kantine haben. Kurz nach Mittag Feierabend und genug Zeit, um zu trainieren und darüber nachzudenken, was ich mit meinem Leben anfangen will.
    Zugegeben: Meistens bleibt es beim Trainieren.
    Hin und wieder kommt noch ein netter Gelegenheitsjob dazu – bei Umzügen helfen zum Beispiel. Und jetzt eben auf diesem Balkon stehen und Fenster putzen. Nichts, worauf man im Alter mit Stolz zurückblickt. Aber ich bin 28. Das mit dem Alter hat noch Zeit.
    Ich beginne, die Scheibe mit dem nassen Lappen abzureiben, um den gröbsten Schmutz zu entfernen. Annette kann hier seit Ewigkeiten nicht mehr sauber gemacht haben. Als hart arbeitende Karrierefrau hat sie ihrer eigenen – und damit für sie ausschlaggebenden – Meinung nach etwas Besseres zu tun. „Für so etwas“, war ihr lakonischer Kommentar, als ich bei der Schlüsselübergabe etwas irritiert auf die Berge von dreckigem Geschirr in ihrem Spülbecken gesehen habe, die in krassem Gegensatz zu ihrem topgepflegten Äußeren standen, „gibt es Leute wie Sie.“ Wie ich Annette kenne, hat sie es genauso arrogant und verletzend gemeint, wie es sich anhörte.
    Annette ist 48, schlank, mit perfekten Brüsten (ihre Aussage), tiefsitzenden Komplexen (meine Vermutung), faszinierend (darin wären wir uns wohl einig, wenn wir je darüber gesprochen hätten). Außerdem ist sie die Kreativchefin einer bekannten Werbeagentur – und zurzeit in einem Sabbatical. „Urlaub vom Alltag“, hat sie mir erklärt, „eine Auszeit für mich, um meine kreativen Energien aufzuladen und einfach mal etwas anderes kennenzulernen.“ Ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie sie das anstellen will: Einmal nicht Kontroll-Freak sein? Glücklich werden, ohne jemanden herumzukommandieren? Soviel ich weiß, stellt Annette momentan auf einer Farm im australischen Outback gemeinsam mit vorbestraften Aborigines-Jugendlichen alternativen Schmuck her. Wahrscheinlich denkt der eine oder andere von denen bereits darüber nach, wie lange man für den Mord an einer ständig giftspritzenden Zicke aus Deutschland bekommen würde – und ob es nicht vielleicht jede Strafe wert wäre.
    Natürlich bin ich undankbar. Immerhin verdanke ich ihr einen ziemlich guten Job: Während der acht Monate, die sie Glasperlen auf Draht fädelt, passe ich auf ihre Wohnung auf, sehe die Post durch, gieße die Blumen. „Sie können sich gerne Ihren Traum erfüllen und auf meine Unterwäsche wichsen“, hatte Annette mir am Flughafen gnädig erlaubt. „Aber sehen Sie zu, dass Sie sie danach reinigen lassen.“
    Der Gedanke, ich könnte mich an ihren Dessous vergehen, entstammt eher ihren erotischen Phantasien als meinen. Annette ist eine sehr attraktive Frau – ja, auch „sexy“ ist ein Wort, das mir bei unseren Begegnungen immer wieder gegen meinen Willen durch den Kopf schießt –, aber sie kann so etwas wie Charme nur sehr kurzzeitig vortäuschen. Manchmal macht mich Annettes Art durchaus an: dieses Eisige, Kontrollierte, Überlegene, das sie verströmt wie andere Frauen ein teures Parfüm. Meistens meldet sich dann aber mein gesunder Mannesverstand: Finger weg von solchen Frauen. 
    Und trotzdem: Ein Leben ohne sie kann ich mir nicht mehr vorstellen. Auch wenn mich das wesentlich nervöser macht, als sie selbst es tut.
     
    ***
     
    Als wir uns das erste Mal begegneten, reichte ich ihr ein Sandwich mit kalorienarmem Hüttenkäse. Sie drückte mir einen Zehn-Euro-Schein in die Hand und sagte: „Behalten Sie den Rest.“ So ging es einige Tage lang – mächtig Trinkgeld, ein kaltes Lächeln. Meistens sah
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