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Komm her, Kleiner

Komm her, Kleiner

Titel: Komm her, Kleiner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lola Lindberg
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Gedanken. Ein Hauch Gänsehaut raste über meinen Rücken, als ich mir die Situation vorstellte. Und zu meiner eigenen Überraschung bekam ich den Ständer, den ich in Annettes Gegenwart nie für unmöglich gehalten hatte. „Lassen Sie das“, sagte ich – eine Spur zu heftig.
    Sie zog eine perfekt geschwungene Augenbraue in die Höhe. „Micha, sollte es mir gelungen sein, Sie doch noch zu schockieren?“
    Ich antwortete nicht, sondern griff nach meinem Whiskey Sour. Nahm einen tiefen Schluck. Und dann sagte ich, ohne darüber nachzudenken: „Warum machen Sie das?“
    „Was mache ich denn?“
    „Mich an.“
    „Mache ich das?“
    „Ja.“
    Sie wandte sich ab und winkte den Barkeeper zu sich heran. „Bringst du mir noch eine Caipiroska? Danke.“ Sie lächelte ihn an, strahlend fast. Alles Berechnung. So wirkte sie noch unnahbarer, als sie sich mit kühlem Augenaufschlag wieder zu mir umdrehte.
    „Ich bin 48 Jahre alt. Ich bin intelligent, erfolgreich, schön. Es ist nicht besonders schwer, einen Mann zu finden, der mich haben will. Aber wissen Sie was?“ Sie nippte an ihrem Glas. „Das langweilt mich. Sie hingegen … finde ich spannend.“ Annette zündete sich eine Zigarette an, inhalierte tief. Der Rauch schoss wie ein Dolch in einem einzigen, scharfen Strom über meine Schulter hinweg. „Sie sind da, wenn ich Sie bestelle. Und trotzdem machen Sie nicht alles, was ich will, obwohl ich Sie eigentlich dafür bezahle.“ Sie sah einen Moment nachdenklich auf ihr Glas. „Wie viel würde es kosten, wenn ich Ihnen hier auf der Toilette einen blasen wollte?“
    „Ich gebe Ihnen lieber nachher einen Abschiedskuss“, schlug ich vor. „Und zwar ganz umsonst.“
    „Es ist nicht Weihnachten“, erwiderte Annette scharf. „Ich habe kein Interesse an Geschenken.“ Sie griff nach ihrer Handtasche. „Zahlen!“, rief sie dem Barkeeper zu.
    Vielleicht meinte sie aber auch mich.
    Keine Woche später beschloss Annette, sich die Auszeit von ihrem Alltag zu nehmen. Und dass ich in der Zwischenzeit auf ihre Wohnung aufpassen sollte.
     
    ***
     
    Ich greife nach der Flasche Sidolin , sprühe großzügig auf die nasse Scheibe und beginne, den Reiniger zu verteilen. Er schäumt leicht und riecht chemisch nach Zitrone. Dann nehme ich den Gummiabzieher, setze oben an der Scheibe an und ziehe ihn langsam, mit leichtem Druck nach unten. Das Glas ist so sauber, dass ich mich wie in einem Spiegel sehen kann.
    Die Jahre im Studio haben sich gelohnt: Meine Brustmuskeln sich breit und fest, wie zwei gemeißelte Platten, die über einem flachen Bauch liegen. Am durchdefinierten Waschbrett müsste ich wahrscheinlich noch arbeiten, aber der Ansatz kann sich sehen lassen. Besonders mag ich meine starken, runden Schultern, und meine Arme. Vielleicht sollte ich doch wieder mit dem Tanzen anfangen. Zu alt bin ich dafür sicher noch nicht. Außerdem kann ich, im Gegensatz zu vielen anderen Go-gos, die ich kennengelernt habe, nicht nur mit meinem Körper, sondern auch mit meinem Kopf punkten: Die im Moment extrem kurzgeschorenen Haare wirken vielleicht ein bisschen militant, aber andererseits passen sie auch gut zu meinem breiten Kinn, der geraden Nase. Meine Lippen sind eher dünn, aber nicht verkniffen, meine Zähne gerade und weiß. Eine Exfreundin hat mal gesagt, dass ich schöne Augen habe: nicht besonders groß, aber auch keine dieser schmalen Schlitze, die viele Typen haben. „Micha“, sage ich zu mir selbst, „du gefällst mir.“ Ich grinse mein Spiegelbild an, während ich die andere Seite der Scheibe abziehe, und komme mir ein bisschen wie der Coca-Cola -Mann vor. Fehlt nur noch eine Gruppe Sekretärinnen, die mir zuschauen und verzückt an ihren Dosen rumfummeln.
    Oder Annette, die auf der anderen Seite sitzt und ein Zigarillo … nein, die fehlt nun wirklich nicht.
    Ich nehme mir die Balkontür vor und beginne, den Schmutz abzureiben. Wasser läuft über meine Hand, meinen Arm. Ein Tropfen löst sich, fällt auf meine Brust, läuft nach unten, über den dunklen Hof meiner rechten Brustwarze hinweg. Es kitzelt, und ich kratze mich geistesabwesend. Es ist lange her, seit eine Frau das gemacht hat …
    Was soll jetzt der Gedanke? Ich packe das Sidolin und konzentriere mich auf die Scheibe.
    Warum hast du eigentlich so lange keine nette Freundin mehr mit nach Hause gebracht? Meine Mutter wollte das neulich wissen, als ich sie wie jeden Sonntag anrief. Ich konnte mir dabei ihr Gesicht genau vorstellen – skeptisch die Stirn

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