Komm mit auf die Insel unserer Liebe
immer sehnte. Vielleicht wollte ich aber auch nur anders sein als meine Mutter, der die Karriere immer wichtiger war als ich. Und dann hast du zu mir gesagt, ich wäre genau wie sie, und das hat mir zu denken gegeben. Vielleicht stimmt das ja sogar, vielleicht bin ich im Grunde so wie sie und wollte es früher nur nicht wahrhaben.“
„Nein, das bist du nicht, Eleanor, das hätte ich nicht sagen dürfen. Ich glaube, dass du tief in deinem Innern immer noch dieselbe bist, nur hat das Schicksal dich dazu gezwungen, dein Leben drastisch zu verändern.“ Er stand auf und reichte ihr die Hand. „Na komm, gehen wir zurück und machen etwas Schönes, ja?“
Eleanor griff nach seiner Hand und ließ sich von ihm hochziehen. Sie war froh, dass das Thema nun beendet und Jace ihr gar nicht böse war, weil sie doch nichts hatte backen wollen. „Was denn Schönes?“, fragte sie neugierig.
Er lächelte verheißungsvoll. „Wir gehen wandern, deshalb hab ich dich gesucht. Hast du feste Schuhe eingepackt?“
„Klar.“
Zurück im Haus ging Eleanor in ihr Zimmer, um sich umzuziehen. Zehn Minuten später kam sie in Jeans, einem einfachen weißen T-Shirt und Sportschuhen wieder raus. So simpel und leger war sie schon seit Ewigkeiten nicht mehr angezogen gewesen, denn normalerweise trug sie elegante Kleidung, und das nicht nur für die Arbeit, sondern auch privat. Ihr Haar war offen und vom Wind zerzaust, weil Eleanor vor lauter Vorfreude auf die Wanderung sogar vergessen hatte, sich zu kämmen.
Seltsam, wie sie sich schon am ersten Tag verändert hatte und wie wohl sie sich dabei fühlte. Die Sonne wärmte ihre Haut, und der Wind spielte sanft mit ihren Haaren, die sie nicht wie sonst geföhnt, sondern an der Luft hatte trocknen lassen.
Unten wartete Jace auf sie, und schon ging es los. Vom hinteren Teil des Gartens aus schlug er einen schmalen Trampelpfad ein, der durch eine felsige Hügellandschaft ins Landesinnere führte. Eleanor marschierte eine gute Viertelstunde in einvernehmlichem Schweigen hinter Jace her und genoss dabei die angenehme Stille, die sie auf ihrem Weg umgab. Als sie jedoch um eine Kurve bog, blieb Eleanor abrupt stehen. Direkt vor ihrer Nase stand eine große weiße Ziege.
Jace musste beinahe lachen, als er sah, wie Eleanor stocksteif dastand und sich nicht mehr vom Fleck rührte. „Du wirst doch keine Angst vor einer Ziege haben?“, neckte er sie. „Na komm, geh einfach weiter.“
„Angst kann man es … nicht unbedingt nennen“, erwiderte sie stockend. „Aber ich bin ein Stadtmensch und begegne sonst nur Tieren, die an der Leine oder hinter Gittern sind.“
„Na, dann wird es höchste Zeit, dass du mal was anderes siehst. Aber keine Sorge, dieses Tier hier ist völlig harmlos.“
Wie zum Protest meckerte die Ziege laut, und Eleanor fuhr erschrocken zusammen. In ihren Ohren klangen diese Töne sehr bedrohlich.
„Geh einfach vorbei, sie wird dich kaum beachten.“
Eleanor sah ihn ängstlich an. „Woher weißt du, dass es eine sie ist?“
„Ihr Name steht auf ihrer Glocke, guck mal hin. Sie heißt Tisiphone.“
„Tisiphone – ist das nicht eine dieser Furien?“
Nun konnte Jace sich kaum noch das Lachen verkneifen. Eleanor war wirklich süß, so wie sie dastand und sich vor einer Ziege fürchtete „Ja, das stimmt, du kennst dich aber gut aus. Spiro, unser Ziegenbauer, hat ein Faible für griechische Mythologie, und alle seine Tiere heißen dementsprechend. Nun komm schon, die Ziege tut dir wirklich nichts.“
„Also gut, wenn du wirklich meinst …“ Eleanor holte tief Luft, rannte an dem Tier vorbei und ließ die Luft erst wieder raus, als sie bei Jace angekommen war.
„Na siehst du, war doch gar nicht schlimm, oder?“
Sie verzog das Gesicht. „Schlimm nicht, aber sympathisch finde ich sie deshalb trotzdem nicht.“
Daraufhin musste Jace lauthals lachen und umarmte Eleanor spontan. Und plötzlich war es wieder da, dieses wunderbare Gefühl von Nähe und Verbundenheit, das sie nur bei ihm empfand. Selbst nach zehn Jahren hatte sich nichts daran geändert, und das machte Eleanor Angst. Was, wenn sie sich so sehr in ihn verliebte, dass sie sich nach ihrem Aufenthalt auf dieser Insel gar nicht mehr von ihm trennen wollte?
„Jetzt geht es etwas steil bergauf“, kündigte er an und riss sie damit aus ihren Gedanken. Er schlug einen schmalen Pfad ein, der von Lavendelbüschen und knorrigen Olivenbäumen gesäumt war. „Pass auf, der Weg ist ziemlich steinig, und man kann
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