Komm mit mir nach Caracas
ehrlich zu ihr gewesen wäre, hätte sie sich gefragt, warum er ihre Gesellschaft suchte.
Raul sollte also ja nicht glauben, sie würde sich bei ihm entschuldigen, weil sie gesagt hatte, sie würde nur nach Venezuela gehen, wenn er sie heiratete. Sie war lediglich ehrlich zu ihm gewesen und hatte auch gar nicht erwartet, dass er es tatsächlich tun würde. Nein, sie hatte ihn genauso schockieren wollen, wie er sie schockiert hatte, wie sie sich unbehaglich eingestand.
Doch seine Reaktion hatte ihr Angst gemacht, und das ärgerte und beschämte sie im Nachhinein. Sie musste lernen, Raul völlig emotionslos zu begegnen.
Als Raul sie an dem Abend besuchte, lag Polly auf dem Sofa und sah Pretty Woman. „Ich habe nie begriffen, wie eine Hure zur romantischen Kultfigur werden kann!" meinte er höhnisch nach einem finsteren Blick auf den Bildschirm.
Schnell griff sie zur Fernbedienung und schaltete den Videorecorder aus. Dann betrachtete sie Raul. Noch nie hatte er so distanziert gewirkt wie in diesem Moment.
Seine Miene war abweisend, und der formelle Anzug ließ ihn noch unnahbarer erscheinen.
„Ich habe eine Heiratserlaubnis beantragt", verkündete er. „Wir werden in achtundvierzig Stunden hier getraut."
Polly, die gerade im Begriff gewesen war aufzustehen, sank wieder aufs Sofa und sah ihn verblüfft an. „Sag das noch mal..."
„Du hast unmissverständlich klargestellt, dass für dich nichts anderes infrage kommt", sagte er ausdruckslos.
„Aber ich hätte nie erwartet... Ich meine ..." Sie war zutiefst schockiert. „Wir können nicht einfach ..."
„Ach nein? Bist du jetzt bereit, darüber nachzudenken, ob du das Kind mir überlässt?"
„Nein!" erwiderte sie entsetzt.
„Bist du bereit, zu anderen Bedingungen in Venezuela zu leben?"
„Nein, aber ..."
„Dann verschwende nicht meine Zeit. Du hast schließlich genau das bekommen, was du wolltest", informierte Raul sie eisig.
„Nicht wenn du so darüber denkst", protestierte Polly mit bebender Stimme. „Und es ist keineswegs genau das, was ich wollte ..."
„Ach nein? Willst du mir damit sagen, dass du mich nicht willst?"
Sie errötete tief. „Ich ... ich ..."
„An deiner Stelle würde ich nicht widersprechen", warnte er sie. „Ich könnte dich in einer Minute dazu bringen, deine Worte zurückzunehmen."
„Als ich von Heiraten gesprochen habe, habe ich es im Grunde nicht in Betracht gezogen ..."
„Nein, du hast es als größtes Opfer dargestellt." Er verzog den Mund. „Und ich werde mich an die Vorstellung gewöhnen. Es wird eine Vernunftehe sein, nichts weiter. Ich werde nicht zulassen, dass mein Kind ohne mich aufwächst."
„Aber was ist mit... uns?" fragte sie benommen.
„Einzig und allein das Kind sollte uns wichtig sein. Warum sollte es den Preis für dieses Fiasko zahlen?"
Schuldbewusst neigte Polly den Kopf. „Ich wollte jemanden heiraten, der mich liebt ..."
„Und ich wollte überhaupt nicht heiraten", erklärte Raul ungerührt.
„Ich muss darüber nachdenken ..."
„Nein, du wirst mir die Antwort darauf jetzt geben. Ich bin jetzt nicht in der Stimmung für Primadonna-Allüren."
Am liebsten hätte sie ihm gesagt, er solle verschwinden, doch bei der Vorstellung, mit Raul verheiratet zu sein, verspürte sie weitaus stärkere Gefühle. Vielleicht gelingt es uns ja, eine gute Beziehung zueinander aufzubauen, sagte sie sich. Und sicher wird uns das Baby dabei helfen. Plötzlich war sie sich geradezu schmerzhaft der Tatsache bewusst, dass sie fast alles getan hätte, um wenigstens diese Chance zu haben.
„Ich werde dich heiraten", sagte sie angespannt.
„Muy bien." Raul warf einen Blick auf seine Armbanduhr.
„Ich kann leider nicht bleiben, denn ich bin zum Essen verabredet."
„Raul?"
An der Tür drehte er sich noch einmal um.
Polly schluckte mühsam. „Kannst du damit leben?" erkundigte sie sich besorgt.
Sein strahlendes Lächeln verblüffte sie, machte ihr jedoch auch Angst. „Natürlich
... Ich hoffe nur, dass du genauso anpassungsfähig bist wie ich."
Zwei Tage später saß Polly in ihrem Zimmer und wartete auf Raul. Sie trug ein schlichtes weißes Baumwollkleid.
Rod Bevan hatte ihr erzählt, dass er ihm vorgeschlagen hatte, die Trauzeremonie im Garten zu vollziehen, doch Raul zog es offenbar vor, in aller Schnelle und unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu heiraten. Sie konnte kaum glauben, dass dies ihr Hochzeitstag war. Keine Blumen, keine Gäste, nichts, was auf eine Feier hindeutete.
Hatte sie
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