Komm, spiel mit mir: Thriller (German Edition)
geplant?«
»Wir haben eine ordentliche Wanderung vor uns. Der Rucksack ist ziemlich schwer, wenn du ihn trägst, nehme ich das Gewehr. Du gehst voran, ich hinterher.«
Sie spricht mit nüchterner, tonloser Stimme. Wahrscheinlich wird er wissen, dass die Regel anders lautet, dass ihr Vorschlag ungewöhnlich ist. Hat sie da eben ein Zucken in seinem Gesicht bemerkt?
»Was immer du sagst. Du bist hier der Boss, nicht wahr, Stephanie?«
Sie laufen über eine Wiese, das Gras ist kniehoch und der Boden uneben und matschig. Stephanie hört ein Auto auf der Landstraße. Sie lauscht; offenbar wird der Wagen langsamer, vermutlich ist er gerade an der Abzweigung zum Parkplatz. Es fängt zu nieseln an. Sie waten durch den Fluss, das Wasser reicht Stephanie bis an die Knöchel. Sie spürt die Kälte durch die Stiefel hindurch. Die Steine unter ihren Sohlen sind glatt und glitschig, und die Strömung ist stark, also geht sie langsam. Sie darf nicht ausrutschen. Sie trägt das Gewehr über der Schulter, der Hahn ist halb gespannt, die Patronen liegen in der Kammer. Er geht schnell und ist ihr ein ganzes Stück voraus. Sie darf sich nicht beeilen; sie muss das Tempo drosseln.
Er wirft einen Blick über seine Schulter. »Kommst du noch mit?«
»Ja, danke, es geht.«
Das Gestrüpp ringsum wird dichter, es riecht modrig und ist düster und geheimnisvoll. Ihre vom Laub gedämpften Schritte sind das einzige Geräusch, abgesehen von einem Vogelschrei dann und wann.
Himmel und Landschaft sind gleichermaßen düster. Der Busch ist schwarzgrün, und durch das dichte Laubwerk über ihren Köpfen ist nur manchmal ein Stück vom grauen Himmel zu sehen.
Haltet euch links. Da vorn geht es steil runter. Wenn man nicht aufpasst, fällt man in den Abgrund.
Vor Jahren ist sie mit Dave und Minna auf diesem Pfad gewandert. Der Boden besteht aus Schiefergestein, die Gipfel tragen märchenhafte Namen: Moonraker, Stargazer. Nun geht sie wieder direkt hinter ihm.
Sie legen eine Pause ein, setzen sich auf die Felsen. Sie gießt dampfend heißen Kaffee aus der Thermoskanne in zwei Becher. Sie bietet ihm ein Sandwich an, eingewickelt in Frischhaltefolie aus Esthers Küche.
Ein Picknick. Es ist wie bei einem Picknick. Jener Tag damals. Penny Muldrew packt übrig gebliebenen Speck und Quiche in eine Tupperschüssel, drückt mit ihren dicken braunen Fingern auf den Deckel, um die Luft herauszupressen.
War sie in dem Moment schon in deinen Händen?
Sag irgendwas. Auch wenn dir schon von seinem Anblick übel wird, auch wenn dir die Worte im Hals stecken bleiben, du musst mit ihm reden, alles soll ganz normal aussehen.
»Wie lange willst du noch hierbleiben?«
»In Wanaka?«
»Ja.«
»Keine Ahnung. Vielleicht für den Rest meines Lebens.«
»Dann scheint es dir hier gut zu gefallen.«
»Ja, bis jetzt. Aber man weiß ja nie. Du bist das beste Beispiel.«
»Ich?«
»Ja. Du hast Karriere gemacht. Hättest du das je gedacht? Hast du geahnt, was in dir steckt, damals, als du klein warst?«
»Ich weiß nicht.«
»Sag ich doch. Man kann es nie wissen.«
Es ist Zeit, wieder aufzubrechen. Stephanie wirft einen Blick auf ihre Armbanduhr. Sie sind jetzt seit zwei Stunden unterwegs und tief im Busch. Es wird dunkler, je weiter sie vorankommen. Die Bäume stehen dicht beieinander, eine jahrhundertealte Schicht aus Moos und Laub bedeckt den Waldboden. Es ist kalt und unheimlich. Sie wirft einen kurzen Blick zurück.
Wie hast du es gemacht? Wie hast du sie dazu gebracht, mit dir mitzugehen?
Wenn ein Fremder dich anspricht, Gemma, jemand, den du nicht kennst, antwortest du nicht. Sprich nie mit Fremden. Geh nie mit Fremden mit. Sollte ein Fremder dich ansprechen, läufst du zu Mummy, so schnell du kannst. Zu Mummy, und wenn die nicht da ist, zu Stephanie. Okay? Hörst du mir zu, Gemma?
Doch er war kein Fremder. Er hat mit ihr gespielt, sie durchgekitzelt, er hat ihr eine Lebkuchenfrau mitgebracht.
Gemma. Hey, Gemma, hast du dich verlaufen? Hast du deine Brüder verloren? Konntest nicht mithalten, was? Komm, komm mit, wir suchen deine Mum, okay, Gemmie? Komm mit, vielleicht habe ich was für dich, eine Überraschung für meine beste Freundin.
War es so?
Bleib ruhig. Du musst ruhig bleiben. Der Weg schlängelt sich durchs Tal, Stephanie kennt jede Biegung. Gleich kommt die Lichtung. Bald ist es so weit. Er läuft um die Biegung, sie hinterher. Und dann – nichts. Er ist weg.
Wo ist er? Verdammt, wo ist er hin?
Sie bleibt wie angewurzelt stehen und
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