Komm, spiel mit mir: Thriller (German Edition)
starrt geradeaus, dreht sich halb um, spürt eine Bewegung in ihrem Rücken, ihr bleibt nicht genug Zeit, sich umzudrehen und ihm entgegenzutreten, schon ringt er ihr das Gewehr ab und versetzt ihr einen Stoß, so dass sie auf die Knie fällt.
Sie hört das markante Klicken, als er den Verschluss zuschnappen lässt. »Ein kleiner Jagdunfall, was? Ein Schuss löst sich, und ich bin tot. Tragisches Missgeschick, was?«
Er baut sich vor ihr auf. Sie starrt zu ihm hoch.
Blickt ihm ins Gesicht. Lass dir deine Angst nicht anmerken. »Ich weiß nicht, wovon du redest.«
»Denkst du, ich wär bescheuert, verdammt? Du belästigst mich, seit du hergekommen bist!«
»Ich belästige dich?«
»Du beobachtest mich. Fragst mich aus. Verdammt, hältst du mich für blöd?«
Sie sieht ihm direkt in die Augen. Eigentlich wollte sie im Besitz der Waffe sein, wenn sie die Frage stellt, aber nun ist es ihr egal. »Du hast sie umgebracht, oder? Du hast Gemma ermordet.«
»Steh auf.«
Sie steht auf. »Du warst es. Du hast Gemma ermordet und dann Gracie.«
Sie sieht das Unbehagen über sein Gesicht huschen. »Dreh dich um und geh vorwärts.«
Sie bleibt ruhig. Es ist seltsam, aber plötzlich hat sie keine Angst mehr. Denn nun hat sie Gewissheit, sie hat endlich Gewissheit, und obwohl sie ahnt, dass sie hier draußen sterben wird, ist sie gefasst. Sie hat getan, was sie sich vorgenommen hatte.
Und auch er hat Gewissheit. Er weiß jetzt, dass seine Maske gefallen ist.
Stephanies Stimme klingt fest und verächtlich. »Willst du mir in den Rücken schießen? Kriege ich dieselbe Chance wie Gemma und Gracie? Zwei kleine Mädchen. Du bist wirklich ein Mann.«
»Verdammt, dreh dich um!«
Er hat es geschrien. Sie bleibt reglos stehen und schaut ihm ins Gesicht, als er das Gewehr hebt okay, du hast es nicht anders gewollt, und plötzlich hört sie hinter sich ein Rascheln und Stöbern, ein Knacken im Unterholz, einen Vogelschrei, der fast wie ein Kichern klingt. Für den Bruchteil einer Sekunde ist er abgelenkt. Sein Blick wandert ins Gestrüpp, seine Hand entspannt sich. Stephanie schlägt zu, so fest sie kann, und rennt los.
41.
I hr Atem kommt in schmerzhaften, abrupten Stößen. Lauf. Lauf.
In den Busch. In die Finsternis. Durch Licht und Schatten, im Zickzack, zwischen den Bäumen hindurch, lauf, lauf, bloß nicht stolpern, nicht stürzen.
Licht dringt durch die Blätter. Ein Flechtwerk aus Licht. Das Aufblitzen von Farben und der Schrei, fast ein Kichern. Lauf.
Lauf.
Sie zerrt an ihrer Hand, komm, guck mal. Komm. Verstecke, in denen man verschwinden kann. Nischen. Unterm Haus, im Garten. Im Schutz der Johannisbeersträucher. Komm, guck mal.
Hier. Duck dich, kriech hinein, kriech so weit hinein, wie du kannst. Leg dich flach auf den Boden. Ganz flach, und rühr dich nicht, halt den Atem an. Stephanies Parka ist dunkel, die Hose schwarz, zieh dir die Kapuze ins Gesicht, sonst sieht er deine blasse Haut. Still. Halt absolut still.
Ist er hinter ihr her? Beobachtet er sie?
»Du kannst ebenso gut jetzt rauskommen. Ich finde dich sowieso.« Seine Stimme klingt spöttisch, kreist um ihren Kopf, hallt von allen Seiten wider.
»Stephanie, ich warte.«
Er braucht nichts weiter zu tun, als zu warten. Eine Bewegung, ein Fluchtversuch, und er hat sie. Er ist schneller und stärker als sie, und er hat das Gewehr. Selbst wenn sie es aus dem Busch schaffen sollte, würde er sie auf dem Weg zum Parkplatz abfangen.
Sie hatte geglaubt, dass es ihr gelingen würde. Ihn mit dem Gewehr zu bedrohen und ihm zu entlocken, wo Gemma ist. Ihn zu einem Geständnis zu zwingen. Du liebe Güte. Wie konnte sie nur so dumm und naiv sein. Er hat sie von Anfang an durchschaut. Sie hätte wissen müssen, dass er misstrauisch ist und gerissen. Während sie ihn beobachtet hat, hat er sie beobachtet. Bebachtet und manipuliert.
Sie schließt die Augen. Sie hat trotz allem keine Angst. Eine ruhige Gefasstheit hat Besitz von ihrem Körper und ihrem Geist ergriffen, so als umarme und beschütze sie der Busch.
Vielleicht wird er sie nicht finden, wenn sie liegen bleibt. Sie wird ihren Körper der Natur anheimgeben, der dämmrigen Zwischenwelt. Sie spürt, dass es kälter wird. Ein Unwetter zieht auf. Irgendwann wird sie das Bewusstsein verlieren.
Sie wird liegen bleiben und sich von der Kälte dahinraffen lassen. Sie wird einfach nachgeben.
42.
E in träger, eisiger Regen fällt vom Himmel wie in Zeitlupe. Sie ist vollkommen reglos, sie atmet kaum. Es ist so
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