Komm, spiel mit mir: Thriller (German Edition)
knallt Dave die Haustür hinter sich zu, stampft ins Wohnzimmer und baut sich mit gerötetem Gesicht und blutunterlaufenen Augen vor Minna auf.
»Du liebe Güte«, ruft er, »ach du meine Güte. Verdammte Scheiße.«
Minna rappelt sich auf. Sie hält sich an der Sessellehne fest und macht sich auf eine Neuigkeit gefasst, auf irgendetwas. Sie klammert sich fest, als könnte sie sich allein nicht auf den Beinen halten, alle Farbe ist ihr aus dem Gesicht gewichen, und sie starrt ihn stumm an.
»Was ist? Hat man … hat man …«
»Verdammt, Minna, was hast du getan?«
»Was? Was haben sie gesagt?«
»Dieses verdammte Arschloch. Die …«
»Was ist passiert? Dave, ich …«
»Die glauben, ich wäre es gewesen! Die glauben, ich hätte das getan!«
Ein Schatten der Erleichterung huscht über Minnas Gesicht, dann streckt sie vorsichtig die Hand aus, um Daves Schulter zu berühren. Aber er zuckt zurück.
»Die haben mich gefragt, ob ich kleine Kinder mag. Ob ich gern sehe, wie … Ob ich sie jemals angefasst hätte, meine …«
»David?«
»… meine Tochter. Meine eigene kleine Tochter. Du lieber Gott.«
»Dave, wahrscheinlich … Niemand käme im Ernst auf die Idee …«
Sein Gesicht glüht. »Wieso zum Teufel hast du nicht auf sie aufgepasst? Warum zum Teufel hast du dich nicht anständig um sie gekümmert? Mehr hattest du nicht zu tun, nichts anderes, warum hast du nicht auf sie aufgepasst? Verdammt noch mal, wieso konntest du nicht auf dein eigenes Kind aufpassen?«
Vierzehnter Tag. Jemand hat bei den Kings eine Scheibe mit einem Ziegelstein eingeschmissen. Die Veranda ist mit Fäkalien beschmiert.
An der Einfahrt stehen zwei volle Müllsäcke. Alle Türen und Fenster stehen sperrangelweit offen und lassen die strahlende Sommersonne herein. Sie sind noch in der Nacht verschwunden, haben alles auf den Pick-up geladen und sind weggefahren. Billy und Lizzy, der alte Mr. King, Betty und Miri, Tama und Georgie und die beiden jungen, tätowierten Männer, die keiner kannte.
6.
D ie Sonne scheint weiter. Unnachgiebig brennt sie Tag für Tag auf die Stadt nieder und heizt die Häuser so weit auf, dass im örtlichen Baumarkt alle Ventilatoren ausverkauft sind. Die Kinder gehen wieder im See baden. Nach dem Schulausflug, nach dem Abbruch der Suche war es da unten bis Ende Dezember sehr ruhig. Viele Blumen waren hingebracht worden, ein breiter, bunter Blumenteppich lag dort, wo die Kinder sich versammelt hatten, um das Flugzeug zu bestaunen. Am Anfang bedeckte er fast den ganzen Strand, es war, als würden zwischen den Kieselsteinen Blumen wachsen, an denen Zettelchen mit bunten Bändern befestigt waren. Gemma, wir haben dich lieb. Dann wurden es weniger, und die übrig gebliebenen verdorrten in der Hitze, bis der Gemeinderat sie wegräumen ließ.
Während des ganzen Dezembers war das Schwimmbad der Stadt so überlaufen, dass man im Wasser kaum einen Stehplatz ergattern konnte, aber irgendwann wurde es zu heiß, um nicht an den See zu gehen. Obwohl es den Kindern, selbst den älteren, inzwischen verboten ist, sich dort unbegleitet aufzuhalten. Früher haben die älteren Geschwister die jüngeren mitgenommen, heute säumen wachsame Eltern das Ufer, die die kleinen, wuseligen Gestalten nicht aus den Augen lassen. Trotzdem könnte das Kindergeschrei, das Platschen der Ruder und das Tuckern der Motorboote den Eindruck erwecken, alles sei wieder beim Alten.
Sie bleibt dabei. Sie wird nicht weinen. Während der Weihnachtstage, die ganze Advents- und Ferienzeit hindurch weint Stephanie nicht. Denn dann hätte sie aufgegeben. Dann käme Gemma nie zurück.
Über Weihnachten fahren sie zur Farm. Es war anders geplant gewesen, eigentlich hatten sie dieses Jahr zu Hause feiern wollen. Aber so ist es besser. Hauptsache, sie sind woanders. Sie legen die Strecke schweigend zurück, Minna und Dave vorn, Oma und Stephanie auf der Rückbank. Als sie durch eine Ortschaft kommen, fragt Dave, ob jemand ein Eis möchte. Zuerst antwortet niemand, dann lehnen Minna und Oma knapp und höflich ab, nur Stephanie sagt ja, weil sie sieht, dass Dave einfach nur versucht, alles richtig zu machen. Er kauft ihr eine Riesenwaffel mit klebriger Schokolade, Himbeer, Hokey-Pokey, Karamell, alle Sorten, von denen er meint, sie könnte sie mögen.
Sie leckt am Eis, und die zähe, süße Masse bleibt ihr an der Zunge und am Gaumen kleben. Als es ihr über die Finger läuft, öffnet sie vorsichtig die Seitenscheibe und wirft das Eis still
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