Komm, spiel mit mir: Thriller (German Edition)
Eher verschaffen sie ihm eine zusätzliche Befriedigung. Vorausgesetzt, sie wurde entführt, was nicht einmal sicher ist. Und der Medienrummel bewirkt höchstens, dass die Leute den Eindruck bekommen, die Polizei sei inkompetent. Die Radioshows sind voll davon. Wieso waren die nicht besser organisiert? Warum wurde nicht früher mit der Suche begonnen? Warum sind die Ermittler aus Dunedin erst am nächsten Tag gekommen? Wieso zum Teufel können sie das Kind nicht finden?
Es ist elf Uhr. Nichts zu machen. Nichts ergibt noch Sinn.
»Okay, noch mal von vorn«, sagt Matt.
Chris zuckt die Achseln. Schon zu oft hat er diese Situation erlebt. Spekulationen, nichts als Spekulationen, man dreht sich pausenlos im Kreis. Am liebsten würde er sich jetzt einen Imbiss holen. Etwas zu essen, dazu ein paar Bier, und dann ins Motel und sich hinlegen. Seit sechs Uhr morgens sitzt er hier. Er ist verdammt müde, und das Ganze ist nur mehr Zeitverschwendung.
Er zählt die Möglichkeiten an seinen Fingern ab. »Erstens: Gemma ist weggelaufen, in den See gefallen und ertrunken. Möglich, aber unwahrscheinlich, da wir die Leiche inzwischen gefunden hätten. Zweitens: Sie ist weggelaufen und hat sich verirrt. Ebenfalls unwahrscheinlich – eine Vierjährige käme allein nicht weit, außerdem wäre sie längst wiederaufgetaucht. Drittens: Sie ist zur Straße rauf und wurde überfahren. Der Fahrer gerät in Panik, nimmt die Leiche mit, schafft sie fort und legt sie irgendwo ab. Möglich, aber andererseits haben in der fraglichen Zeit so viele Leute den Picknickplatz verlassen, dass ihn zwangsläufig irgendwer beobachtet hätte. Viertens: eine Entführung. Wäre die wahrscheinlichste Erklärung, aber auch hier gilt, dass irgendjemand etwas hätte sehen müssen.«
»Genau. Trotzdem können wir seltsame Zufälle nicht ausschließen, einen Unfall beispielsweise. Kannst du dich an das Kind damals in Großbritannien erinnern? Ist weggelaufen, auf einen Baum geklettert und zwischen den Ästen stecken geblieben. Als man es fand, war es fast tot.«
Chris spricht mit ruhiger Stimme. Langsam hat er von Matt die Schnauze voll. Egal, wie unwahrscheinlich eine Theorie ist, egal, wie hanebüchen – Matt stürzt sich darauf. Chris hat genug davon, und von der Nummer guter Cop – böser Cop hat er auch genug. Anders als Matt war er dagegen, die Angehörigen in die Zange zu nehmen, und er hat keine Lust mehr, den knallharten Ermittler zu spielen.
»Aber der Junge wurde nach drei Tagen gefunden. Er war dreizehn. Gemma ist zu klein, um auf Bäume zu klettern.«
»Ich meinte das ganz generell. Aber du hast recht. Wahrscheinlich wurde sie entführt.«
»Ja, von jemandem, den sie kannte.«
Matt runzelt die Stirn. »Nicht unbedingt. Vielleicht war’s auch jemand, der zufällig vorbeikam, die vielen Kinder sah und in der Nähe herumlungerte, um auf eine günstige Gelegenheit zu warten. Alle sagen, Gemma sei ein sehr offenes Kind gewesen.«
»Jede Wette, dass es jemand war, den sie kannte? Klar, alle haben ausgesagt, sie sei ein freundliches Kind, aber Minna meinte auch, sie sei Fremden gegenüber eher schüchtern gewesen. Außerdem hatte sie Gemma eingeschärft, niemals mit einem Fremden mitzugehen.«
»Ja, aber wir wissen doch, wie leicht ein Kind sich überreden lässt. Falls sie allein in dem Kiefernwald unterwegs war, war sie schutzlos. Vielleicht war sie unglücklich, weil man sie allein zurückgelassen hatte. Vielleicht ist sie mit jemandem mitgegangen, der freundlich zu ihr war. Oder sie wurde gewaltsam verschleppt. In dem Wald gibt es unzählige Möglichkeiten, sich zu verstecken.«
»Nein, wenn sie sich erschreckt hätte, hätte sie vermutlich geschrien. Die anderen waren ganz in der Nähe.«
»Nicht wenn sie von hinten gepackt wurde und der Täter ihr den Mund zuhielt. Sie war doch noch ganz klein. Kannst du dich an den Fall Bryant erinnern? Lucy Bryant wurde in unmittelbarer Nähe ihres Elternhauses von der Straße geholt. Auch da waren Leute in der Nähe, außerdem war sie größer und kräftiger als Gemma Anderson.«
Chris seufzt und wirft einen Blick auf die Uhr. Unwahrscheinlich, dass er hier vor Mitternacht rauskommt. Dann hat der Imbiss längst geschlossen, und im Motel gibt es nichts zu essen, dabei ist er hungrig, ausgehungert geradezu. Aber er hat keine Wahl. Matt ist sein Vorgesetzter. Und das, obwohl er in Chris’ Augen von Tuten und Blasen keine Ahnung hat.
»Ja, könnte sein. Trotzdem sagt mir mein Bauchgefühl, dass es
Weitere Kostenlose Bücher