Komm, spiel mit mir: Thriller (German Edition)
kinderlos ist und sich immer eine kleine Tochter gewünscht hat. Anfangs wollte er sie noch nach Hause zurückbringen, sie nur für kurze Zeit ausleihen, für einen kleinen Urlaub, aber inzwischen liebt er sie zu sehr, um sich von ihr zu trennen. Gemma ist in Sicherheit und wird verhätschelt, sie ist ganz zufrieden, außer dass sie manchmal Stephanie und Minna und David vermisst und Jonny und Liam, und dann will sie nach Hause. Eines Tages wird sie den Weg nach Hause finden.
Lass es wahr sein.
Solche Geschichten denkt Stephanie sich jeden Abend vor dem Einschlafen aus. Sie stellt sich das Kinderzimmer vor, in dem Gemma jetzt gerade schläft, mit rosa Tapete und einem Himmelbett, über dem ein weißes, transparentes Moskitonetz hängt. Das Zimmer einer Prinzessin. Sie stellt sich das Haus vor, in dem Gemma jetzt lebt, die neuen Spielsachen, die neuen Kleider.
Sie kann den Gedanken nicht ertragen, Gemma könnte irgendwo da draußen in der Dunkelheit sein.
Das erste Schulquartal geht vorbei, dann das zweite, und zwischen Minna und Dave hat sich etwas verändert. Er kommt jeden Tag um Viertel vor sechs nach Hause und geht am Wochenende nicht mehr arbeiten. Er bringt Minna Blumen mit und begleitet sie zum Tanzkurs ins Gemeindezentrum. Manchmal lachen sie zusammen. Oma kommt zu Besuch, damit sie ohne die Kinder verreisen können, für drei Tage. Im November schließlich kommt Minna in Stephanies Zimmer und setzt sich auf die Bettkante. Stephanie arbeitet ihre Aufzeichnungen für die Englischklausur am nächsten Tag durch.
Minna zupft an Stephanies Bettdecke. »Steph, ich habe Neuigkeiten.«
Stephanies Herz macht einen Hüpfer. »Gemma?«
»Nein, es geht nicht um Gemma.«
»Um was dann?«
»Um Dave und mich. Na ja, Steph, wir bekommen noch ein Baby.«
»Noch ein Baby?«
»Ja. Wir haben uns gedacht … wir dachten, ein Baby wäre ein Neuanfang. Für uns alle.«
»Oh.«
»Also. Was meinst du?«
»Ich muss lernen. Ich schreibe morgen eine Klausur.«
»Aber ist es für dich okay? Das mit dem Baby?«
»Wo soll es hin?«
»Wie bitte?«
»Wo wollt ihr es unterbringen? «
»Unterbringen? Oh, ach so. Sie oder er wird Gemmas Zimmer bekommen. Dachte ich. Obwohl es für die erste Zeit natürlich bei Dave und mir schlafen wird. Du und ich, wir könnten das Zimmer streichen. Nicht jetzt sofort, später. Du könntest die Farbe aussuchen und neue Vorhänge und solche Sachen.«
»Ich muss jetzt lernen.«
Am nächsten Tag geht Stephanie zur Schule und stellt sich zu den anderen, die vor dem Klassenzimmer warten. Sie geht mit den anderen hinein, setzt sich an den für sie vorgesehenen Arbeitsplatz. Als die Lehrerin sagt, es sei an der Zeit, sich die Fragestellung anzusehen, greift sie zum Arbeitsblatt und liest. Als sie sagt, es sei an der Zeit zu schreiben, greift Stephanie zum Stift.
Sie wählt die erste Frage aus, schreibt die Nummer an den Rand. Sie schreibt die Frage ab. Zwei Mal. Sie betrachtet wieder das Arbeitsblatt, liest die Frage noch einmal, schreibt sie noch einmal ab. Und noch einmal. Wieder und wieder schreibt sie immer dieselbe Frage ab, bis die Wörter sich irgendwann ineinanderschlängeln und zerfließen und die ganze Seite von beweglichen schwarzen Kringeln bedeckt ist.
Zunächst klingt es, als hätte Stephanie sich verschluckt, dann wächst und wächst es zu einem Brüllen heran, zu einem Kreischen, das erst ihren Kopf ausfüllt und dann den ganzen Raum. Sie liegt am Boden. Stephanie liegt am Boden, die Knie mit aller Kraft an den Bauch gezogen und die Arme über dem Kopf zusammengeschlagen, und immer ist da dieses Geräusch, es will einfach nicht aufhören.
Durch das Geräusch hindurch hört sie ein Flüstern. Sie hört Stuhlbeine über den Holzboden scharren, sie hört Schritte, sie hört jemanden weinen. Sie kann sich nicht mehr bewegen, und sie kann mit dem Geräusch nicht aufhören, obwohl die anderen versuchen, sie zu beruhigen, sie aufzurichten.
»Stephanie? Kannst du mich hören, Stephanie? Ich bin hier. Stephanie, Liebes, ich bin hier!« Ms. Evans hält sie fest umarmt, legt ihr eine Hand auf den Kopf, streicht ihr das Haar aus der Stirn.
Dann sagt sie es.
Die glauben, Gemma ist tot.
Zweiter Teil
7.
Dunedin, 2005
S ie biegt von der Hauptstraße auf die Schotterpiste ab, fährt an den Rhododendren vorbei, an den Azaleen, den rauschenden Bäumen, und nimmt zuletzt die knifflige Kurve, bevor sie auf dem für sie reservierten Parkplatz hält. Nur für Mitarbeiter.
Die Gärten sind
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