Komm, spiel mit mir: Thriller (German Edition)
ein Ort der friedvollen Einkehr, denn hier erinnert uns der ewige Kreislauf der Natur an das ständige, langsame Wachstum, das in dieser erholsamen Umgebung möglich ist.
Klingt kitschig. Trotzdem ist Stephanie von diesem Ort überzeugt.
Sie hatte keine andere Wahl, konnte sich niemals etwas anderes vorstellen, was manchmal beängstigend war – hätte sie den Abschluss nicht geschafft, wäre sie draußen gewesen. Einige der Studenten, mit denen sie anfing, sind Zahnärzte oder Pharmazeuten geworden. Für sie hingegen kam nur das hier in Frage. Die Psychiatrie. Nichts anderes hatte sie sich während all der Jahre gewünscht, als das Leben besser zu verstehen und den Schmerz zu lindern, den niemand sehen kann.
Wenn es ihr schon selbst nicht gelang, wäre sie möglicherweise imstande, anderen zu helfen.
An einem Tag Ende Februar hatte sie ein paar Klamotten eingepackt und den Bus bestiegen. Er rollte durch die Kleinstadt, am See vorbei, vorbei an den Bars und Cafés und Geschäften und Wohnhäusern an der Hauptstraße. Sie schloss die Augen, spürte durch die Fensterscheibe die spätnachmittägliche Sonne auf ihrem Gesicht, bevor sie ein Buch aus der Tasche zog und mit gesenktem Kopf zu lesen begann. Auch andere waren auf dem Weg an die Uni, und auf der Fahrt stiegen immer mehr junge Leute zu. Cromwell, Alex, Roxburgh. Sie spürte, wie der Busfahrer abbremste und den Bus auf den Seitenstreifen lenkte, hörte, wie Leute sich verabschiedeten und die Stufen heraufgepoltert kamen, wie sie ihre Taschen auf die Gepäckablagen hievten. Laut schnatternd nahmen sie Platz, aufgeregt angesichts der kommenden Orientierungswoche, angesichts des Lebens im Studentenwohnheim. Sie fühlte sich all dem entfremdet und beugte sich noch tiefer über ihr Buch.
Sie wollte nicht über das nachdenken, was sie zurückgelassen hatte. Dave und die Jungs, die am Busbahnhof gestanden hatten. Greg hatte am Daumen genuckelt. Er war gerade in den Kindergarten gekommen, wo es ihm nicht gefiel. Er hatte Angst vor den anderen Kindern. Was würde er ohne sie anfangen? Wie würden Dave und Jonny und Liam ohne sie zurechtkommen? Minna war vor über einem Jahr ausgezogen. Sie lebte in Wellington. Sie hatte da einen Typen kennengelernt.
Ich kann nicht mehr, Steph. Du musst mich einfach verstehen.
Und nun ging auch Stephanie fort. Greg weinte. Er ist so hübsch, der Kleine, mit dem dunklen Haar und den schwarzen Augen sieht er aus wie … Nein, sie wird es nicht denken, sie wird an gar nichts denken. Sie starrte auf die Buchstaben auf dem Papier. Es ging um Elisabeth I. Sie hatte es bei der Preisverleihung für ihre guten Englischnoten bekommen und in den Bus mitgenommen, weil es so wenig wie möglich mit ihrem eigenen Leben zu tun hatte. Als sie aber an die Stelle kam, wo Elisabeth vom Hof verbannt wurde und ihren kleinen Bruder Edward nicht mehr sehen durfte, konnte sie nur noch auf die Wörter starren. Genau so fühlte sie sich. Verbannt. Nur dass sie freiwillig beschlossen hatte, alle zurückzulassen, die sie liebte.
Vielleicht war sie kein Stück besser als Minna; aber sie hielt es nicht mehr aus. Stephanie Anderson. Du weißt schon, ihre Schwester … Und jetzt ist Minna abgehauen und hat Dave mit den Kindern sitzenlassen. Stephanie ist so eine Art Mutterersatz für die Kleinen.
Die arme Stephanie. Armes Mädchen. Als Minna fortzog, bestellte die Schulpsychologin Stephanie zu sich, bat sie, auf dem grauen Kunstledersessel Platz zu nehmen, der direkt neben dem ihren stand, und musterte sie – wie sollte es anders sein – mit einem aufgesetzt mitfühlenden Gesicht.
»Stephanie, Liebes, wir fragen uns, ob du all das verkraften kannst.«
Sie hätte in Wanaka bleiben können. Hätte problemlos einen akzeptablen Bürojob finden können, um bei Dave und den Jungs wohnen zu bleiben. Nicht, dass Dave es von ihr erwartet hätte. Trotzdem, sie hätte bleiben und ihn weiter unterstützen können. Sie fühlte sich schlecht, so schlecht.
Sie stieg aus dem Bus. Sie trug Jeans und ein T-Shirt. Sie hatte ein sonniges Wanaka unter einem strahlend blauen Himmel verlassen; aber je näher sie der Stadt gekommen waren, umso düsterer und grauer wurde der Himmel. Als sie den Busbahnhof erreichten, waren schiefergraue Wolken aufgezogen. Sie kletterte aus dem Bus und spürte im selben Moment den kühlen Wind auf ihren Armen. Sie hatte einen Pullover in der Tasche, zog ihn aber nicht an. Die Kälte fühlte sich fremd und erfrischend an.
Ein Shuttlebus stand
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