Komm stirb mit mir: Thriller (German Edition)
Bevor er zurückkam. Sie sah einen Ausgang an der Rückwand der Bar, nahm ihre Handtasche, riss ihre Jacke vom Haken in der Nähe und rannte hinaus.
Es war eiskalt, aber nach der verrauchten Bar tat die frische Luft ihr gut. Gebückt lief sie vor den Fenstern vorbei, dann rannte sie los, so schnell sie konnte, schlitterte und stolperte und stürzte beinah die wenigen feuchten Stufen zum Kanal hinunter. Sie wusste noch, wie sie hergekommen war. Das hier war der kürzeste Weg zur U-Bahn, und sie hatte auf keinen Fall Zeit, anzuhalten und auf den Stadtplan zu gucken. Wenn er feststellte, dass sie weg war, würde er ihr folgen, da war sie sich ganz sicher. Sie musste sich beeilen. Einen Vorsprung herausholen. Hoffentlich ahnte er nicht, welchen Weg sie nahm.
Es war stockdunkel, die wenigen Laternen standen weit auseinander und warfen seltsame, orangefarbene Lichtkegel auf den Boden. In der Kälte tränten ihr die Augen, ihre Lippen waren trocken vor Angst, aber sie rannte weiter, ihre Fußtritte hallten von den Wänden wider. Der faulige Gestank des Wassers war überwältigend, und ihr wurde übel, aber sie durfte jetzt nicht stehenbleiben. Der Weg beschrieb eine Linkskurve, folgte dem Verlauf des Kanals, zu beiden Seiten standen hohe Häuser, nur wenige Fenster waren erleuchtet, kein Mensch weit und breit. Als sie um die Biegung rannte, stand mitten auf dem Weg eine dunkle Gestalt, die sich vor dem Licht der nächsten Laterne abhob – es sah aus wie ein Mann, aber sie war sich nicht sicher. War er das? Heilige Maria, Mutter Gottes, hatte er sie gefunden? Ihr Herz raste, keuchend blieb sie stehen, in ihrem tiefsten Innern formte sich ein Schrei. Sie schlug sich die Hand vor den Mund, um ihn zurückzuhalten. Das konnte er gar nicht sein. Dumm von ihr. Selbst wenn er wusste, welchen Weg sie genommen hatte, er konnte nicht vor ihr hier sein. Dazu war gar nicht die Zeit gewesen. Vielleicht würde dieser Mensch ihr helfen. Sie zur U-Bahn begleiten und dafür sorgen, dass sie in Sicherheit war.
»Bitte. Ich brauche Hilfe«, rief sie. Ihre Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit, sie sah, dass es ein Mann war, groß und breitschultrig, das Licht verfing sich in seinen kurzen, stacheligen Haaren. Aber er rührte sich nicht vom Fleck, stand da mitten auf dem Weg, die Beine leicht gespreizt, die Arme an den Seiten, das Gesicht im Dunkeln. So reglos, dass es auch eine Statue sein könnte. Wie die bronzenen Fußgänger am Kanal in der Nähe der Paddington Station. Sie war erschrocken, als sie sie das erste Mal gesehen hatte, so lebensecht waren die. Aber sie erinnerte sich nicht, dass hier eine Statue stand, schon gar nicht mitten auf dem Weg. Würde er ihr helfen? Sollte sie ihm erzählen, was passiert war? Als sie zögernd auf ihn zuging, hörte sie von hinten jemanden auf sich zurennen, dann wurde sie zu Boden geworfen.
Dreiundzwanzig
An der Theke stand eine Horde betrunkener Australier, und es dauerte ewig, bis er bedient wurde. Als er zurückkam, war Yolanda nirgends zu sehen.
Wahrscheinlich war sie zur Toilette gegangen. Kein Wunder, bei dem, was sie getrunken hatte. Ihre Handtasche war weg, aber Frauen nahmen ja immer die Handtasche mit zum Pinkeln. Eines der vielen Geheimnisse des Lebens, warum die Handtasche immer und überallhin mitmusste. Seine Großmutter hatte sich nur selten von der ihren getrennt, und sie war über die Maßen stolz auf das gute Stück aus echtem Krokodilleder gewesen, auch wenn es so zerschrammt war, dass das arme Krokodil wohl schon vor hundert Jahren sein Leben gelassen hatte. Die Schnalle war mit geschliffenen Kristallen von der Farbe eines Tigerauges besetzt, und das ganze Ding war steif und starr und seltsam prüde gewesen. Wenn er frech geworden war, war ihr oft als Erstes die Tasche in die Hände gefallen: Sie hatte sie ihm öfter über den Schädel gezogen, als er zu zählen gewillt war, und nicht selten hatte er geblutet. Die Messingkanten waren wie grausame, scharfe Zähne, und er hatte oft geträumt, wie sie das Maul aufriss, sodass er das rote Innenleben aus Leder sehen konnte, und ihn verschlang. Er musste daran denken, wie sie wie ein ungebetener Gast neben seiner Großmutter auf dem Fußboden gehockt hatte, während er sich überlegte, was er mit ihrer Leiche anstellen sollte.
Yolanda ließ schon eine ganze Weile auf sich warten, als sich ein stämmiger Kerl mit kahlrasiertem, schweißglänzendem Schädel neben ihm aufs Sofa fallen ließ.
»Entschuldigung, aber da sitzt
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