Komm stirb mit mir: Thriller (German Edition)
problemlos hinweg. Aber ein altes Boot wie das hier, oder der Schwimmbagger, auf dem ich in Oxford gearbeitet habe, die liegen ein ganzes Stück tiefer im Wasser. Da ist nicht viel Platz zwischen Kiel und Grund. Außerdem wird das Wasser unter dem Boot stark verwirbelt, vor allem, wenn es schmal und eng wird, unter einer Brücke zum Beispiel.«
»Verstehe. Sie haben die Leiche also in Bewegung gebracht, als sie drübergefahren sind?«
Sullivan nickte. »Da wird aller möglicher Müll und Gerümpel aufgewirbelt und verfängt sich in der Schraube. Ich muss oft anhalten und sie wieder klarmachen. Und wir hatten verdammt Glück, dass wir nicht im Maida Tunnel liegengeblieben sind. Da drin ist es stockduster, und es gibt keinen Leinpfad. Früher mussten die Lastkahnführer ihre Pferde losmachen, sich auf dem Rücken aufs Dach legen und sich mit den Füßen vorwärts schieben. Am anderen Ende wurden die Pferde dann wieder festgemacht«, sagte er lächelnd. »Ich möchte da drinnen nicht so lange feststecken, schon gar nicht mit einem Haufen russischer Hyänen und einer Leiche, das kann ich Ihnen sagen.«
»Sie kennen diese Kanäle wirklich wie Ihre Westentasche, Mr. Sullivan. Wagen Sie einen Tipp, wo sie hineingefallen sein könnte?«
Sullivan lächelte, anscheinend schmeichelte es ihm, nach seiner Meinung gefragt zu werden. »Mein Tipp, aber das ist nur ein Tipp, wäre, dass sie nicht weit von der Stelle reingefallen ist, wo wir sie aufgegriffen haben. Das scheint mir am wahrscheinlichsten, aber schlagen Sie mich nicht, wenn herauskommt, dass es doch in Limehouse war.«
»Könnten Sie da etwas genauer werden? Ich verspreche Ihnen, ich werde Sie nicht schlagen, wenn Sie falsch liegen. Aber es ist sehr wichtig herauszufinden, wo genau sie ins Wasser gefallen ist.«
Sullivan nickte nachdenklich, leerte seine Tasse und stellte sie mit einem zufriedenen Seufzer ab. »Okay. Wenn wir davon ausgehen, dass sie nur ein kurzes Stück vom Boot mitgerissen wurde und sich vorher wahrscheinlich kaum bewegt hat, würde das bedeuten, dass es kurz vor dem Maida Tunnel war. Auf der Ostseite, nicht weit von Lisson Grove.«
Donovan fand das Haus der Familie Everett ohne Probleme. Sie lebten in einer Maisonettewohnung in einem riesigen Reihenhaus unweit von Paddington Station, nur zehn Minuten von Little Venice entfernt. Die Everetts hatte Yolanda um kurz nach Mitternacht als vermisst gemeldet, und Judy Everett wirkte nicht im Mindesten überrascht, als Donovan ihr eröffnete, dass die Leiche eines Mädchens gefunden worden war, auf das Yolandas Beschreibung passte.
»Natürlich ist es ein Schock«, sagte Judy Everett, während sie einen rosafarbenen Matsch aus einem kleinen Glas in den Mund eines Babys zu verfrachten versuchte, das mit wenig begeisterter Miene auf einem Hochstuhl saß. Donovan konnte es ihm nicht verübeln.
Judy war groß und schlank, hatte einen gesunden, frischen Teint und eine wilde braune Mähne, und sie schien die Dinge locker zu nehmen. In der großen, luftigen Küche herrschte Chaos, Papier und Buntstifte lagen auf dem Fußboden verstreut, die Spüle und das Abtropfbrett ächzten unter dreckigem Geschirr, und Pfannen, Töpfe und Teller mit Essensresten standen unbeachtet auf der Arbeitsplatte.
»Als Yolanda nicht nach Hause kam, wusste ich sofort, dass etwas passiert war«, sagte sie und drehte sich, die Hand auf der Hüfte, zu Donovan. »Sie ist immer weit vor Mitternacht nach Hause gekommen. Das gehört zu unseren Hausregeln, und sie hatte sich bisher immer dran gehalten.«
»Wie lange lebte sie schon bei Ihnen, Mrs. Everett?«
»Ungefähr fünf Monate.«
»Sie kennen sie also recht gut.«
»Das würde ich nicht sagen. Genau genommen war sie mir ein völliges Rätsel. Normalerweise habe ich zu den Mädchen, die herkommen, ein ganz gutes Verhältnis. Sie bleiben nie sehr lange, aber einige habe ich wirklich ins Herz geschlossen. Sie gehören praktisch zur Familie, und wir sind immer noch in Kontakt.«
»Aber nicht so Yolanda?«
Judy schüttelte den Kopf. »Warum soll ich Ihnen da etwas vormachen.« Sie seufzte. »Gott, wie schrecklich, wenn es wirklich Yolanda wäre. Ich habe ein schlechtes Gewissen jetzt, weil ich sie nicht mochte. Ich meine, ich habe auch nichts gegen sie, ich fand sie sogar recht clever. Ich musste ihr nie etwas zweimal sagen. Aber sie war nicht so eine, mit der man schnell warm wird. Dafür konnte sie gut mit meinen beiden Jungs umgehen, und darauf kam es ja schließlich an.«
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