Komm stirb mit mir: Thriller (German Edition)
Wieder seufzte sie, rieb sich das Gesicht und zog die Stirn in Falten. »Ich weiß gar nicht, wie ich Alex das beibringen soll, wenn sie es wirklich ist. Das ist mein Ältester, er ist fünf. Er hat sie sehr gern gehabt.«
»Glauben Sie, dass sie unglücklich war?«
Judy zuckte mit den Schultern. »Um ehrlich zu sein, ich weiß es nicht. Sie war immer so ernst, und viel Sinn für Humor hatte sie auch nicht, aber ihr Englisch war auch nicht besonders gut, deshalb ist das vielleicht ungerecht. Wie gesagt, sie hat ihre Arbeit gut gemacht, ich hatte keinen Grund zur Klage. Aber ich habe keine Ahnung, was in ihr drin los war.«
Mit hochrotem Gesicht und laufender Nase spuckte das Kind den letzten Löffel Brei wieder aus und schlug mit der dicken, schmutzigen Faust auf den Stuhl ein. Judy rieb ihm den Mund sauber, wischte das Tablett mit einem Stück Küchenpapier ab und hielt dem Kind eine Schnabeltasse mit Saft hin. Der Kleine nahm sie, trank und schwang sie dann durch die Luft wie einen Fußballpokal.
»Hatte sie schon woanders gearbeitet, bevor sie zu Ihnen kam?«
»Nein. Sie war zum ersten Mal in England, und ich glaube, dass sie hier niemanden kannte. Sie ist nicht oft aus dem Haus gegangen, außer zum Englischunterricht. Sie tat mir leid, aber was sollte ich machen? Ich bin nicht ihre Mutter. Ich arbeite vier Tage die Woche, ich habe nicht die Zeit, mich um die Au-pairs zu kümmern, oder sonst um jemanden. Die Mädchen müssen lernen, allein zurechtzukommen.«
Es hörte sich ein klein wenig an, als wollte sie sich rechtfertigen, und Donovan fragte sich, ob sie auch deshalb Schuldgefühle hatte, weil sie sich nicht mehr um das Mädchen gekümmert hatte. Donovan musste daran denken, was die Leute über Marion Spear erzählt hatten, und sie hatte Mitleid mit Yolanda. Sie selbst war in der grünen Vorstadt von St. Margaret’s in Twickenham aufgewachsen, vor den Toren Londons. Sie fühlte sich hier zu Hause, sie hatte ihre Familie und gute Freunde hier, und trotzdem war London auch für sie manchmal kalt, fühlte sie sich manchmal einsam. Wie musste das für jemanden sein, der neu hierherkam, der sich allein, mit wenig oder gar keiner Hilfe ein Leben aufzubauen versuchte? Das musste jeden verwundbar machen.
»Hatte Yolanda hier Zugang zum Internet?«, fragte sie.
Das Kind schleuderte den Schnabelbecher auf den Boden, Judy bückte sich, hob ihn auf und gab ihn dem Jungen zurück, ohne ihn anzusehen. »An unseren Computer durfte sie nicht, aber ich weiß, dass sie öfters in die Stadtbücherei gegangen ist, um E-Mails nach Hause zu schreiben.«
»Wann haben Sie sie zuletzt gesehen?«, fragte Donovan und nahm sich vor, die Computer der Stadtbücherei überprüfen zu lassen, falls sich herausstellen sollte, dass die Tote tatsächlich Yolanda war.
»Sie hat den Jungs gestern noch das Abendessen gemacht, das muss so um halb sechs gewesen sein. Alex ist gerade zum Abendessen bei einem Freund.« Sie sah auf die Uhr. »Da fällt mir ein, ich muss bald los und ihn abholen.«
»Ich will Sie nicht lange aufhalten, Mrs. Everett. Aber ich müsste ungefähr wissen, wann Yolanda das Haus verlassen hat.«
Judy dachte kurz nach. »Schwer zu sagen. Ich bin von der Arbeit gekommen und habe so gegen sechs übernommen, weil sie den Abend frei hatte. Danach habe ich sie nicht mehr gesehen. Meistens bleibt sie auf ihrem Zimmer und schaut fern, auch an ihren freien Abenden. Wir haben den Au-pairs einen Fernseher ins Zimmer gestellt, damit sie beschäftigt sind. Dann hängen sie abends nicht bei uns herum.«
»Sie haben nicht gehört, wann sie gegangen ist?«
»Nein. Aber sie schleicht auch durch die Gegend wie eine Maus. Vielleicht als ich die Jungs gebadet habe, aber genau weiß ich das nicht. Die Wände in diesem Haus sind ziemlich dick.«
»Wann war das?«
»Gegen sieben. Aber sie könnte auch später gegangen sein. Ich habe erst gemerkt, dass sie weg war, als Johnny nach Hause kam, das war kurz vor acht.« Der Kleine hatte den Becher wieder auf den Boden geworfen und fing an zu weinen. Judy nahm ihn hoch, setzte ihn sich auf die Hüfte und putzte ihm mit einem zerknüllten Taschentuch, das sie aus dem Ärmel ihrer Strickjacke zog, die Nase. »Und was passiert jetzt?«
»Wir müssen natürlich wissen, ob das Mädchen wirklich Yolanda ist. Wissen Sie, ob sie in England Verwandte hat?«
Judy schüttelte den Kopf. »Die leben alle in Spanien. Sie kommt irgendwo aus Nordspanien, nicht weit vom Meer. Wo genau, weiß ich nicht
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