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Komm, suesser Tod

Komm, suesser Tod

Titel: Komm, suesser Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolf Haas
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vielleicht alles noch einmal erzählen?" hat der Freiwillige Fürstauer den Brenner genervt gefragt. Weil der Fürstauer ist ein gescheiter Mensch gewesen, der hat genau gewußt, daß er nicht ewig der Star bleiben wird. Jetzt mußt du dich mit der Allüre beeilen, wenn du was davon haben willst.
    "Wo hast du ihn denn gefunden?"
    "Um 21 Uhr 20 ist der Notruf hereingekommen", hat der Freiwillige Fürstauer wieder bei Adam und Eva angefangen.
    "12, Motorradunfall. Mein Fahrer ist der Mraz gewesen. Der wird gerade von der Kripo vernommen, drinnen im Kursraum.
    Obwohl ich denen eh schon alles erzählt habe. Und bestimmt besser als der Mraz. Bevor ich in die Landesregierung gewechselt bin, war ich ja elf Jahre Volksschullehrer. Und das haben die Kinder nicht und nicht begriffen: den Unterschied zwischen Inhaltsangabe und Nacherzählung. Aber ich habe es noch jedem eingetrichtert. Am Ende der Volksschule hat es jedes von meinen Kindern gewußt: Inhaltsangabe nur fünf Zeilen oder überhaupt nur ein Satz. Vielleicht sechs Zeilen, wenn einer eine große Schrift hat. Und im Gegensatz dazu: Nacherzählung auch mit Details."
    "Probier es mit der Inhaltsangabe."
    Der Freiwillige hat den Brenner ein bißchen an den Turnlehrer erinnert, den er im Puntigamer Gymnasium gehabt hat. Ganz eine ähnliche Glatze, und genau wie der Fürstauer hat der Turnlehrer sich links die Haare lang wachsen lassen und dann bis zum rechten Ohr hinübergeschleckt. Eigentlich eine raffinierte Lösung, nur wenn der Turnlehrer selber einmal einen Schritt gelaufen ist, haben sich vor lauter Einsatz die Haare vom Schädel gelöst und sind ihm ganz einseitig auf die linke Schulter hinuntergehängt.
    Und wie der Brenner jetzt das mit der Inhaltsangabe gesagt hat, hat er den Eindruck gehabt, daß sich beim Freiwilligen Fürstauer ebenfalls die hinübergeleckten Schädelhaare ein bißchen abgelöst haben. Als hätte genau in dem Moment die Spucke ihre Klebekraft verloren. Muß natürlich nicht unbedingt die Kränkung gewesen sein, die ihm die Haare aufgestellt hat.
    Könnte auch einfach der Nachtwind gewesen sein, der ein bißchen mit den Fürstauer-Haaren gespielt hat.
    "Ich muß gar nichts erzählen", hat der Fürstauer mit einer Frostmiene gesagt, daß der Brenner auf einmal gespürt hat, wie kühl es nach Mitternacht im Juni noch werden kann.
    Aber wie gesagt. Der Fürstauer ist ein gescheiter Mensch gewesen, sonst hätte er es nicht bis zum Volksschullehrer gebracht. Pädagogische Akademie und alles. Und dann sogar der Wechsel in die Landesregierung. Er wäre zwar lieber Lehrer geblieben. Aber leider die Verleumdungsgeschichte. Kaum daß er den Kindern alles eingetrichtert hat, sind sie zur Polizei gegangen und haben alles nacherzählt.
    Das ist aber auch schon wieder fünfzehn Jahre her gewesen.
    Und seit damals ist er nie wieder von einer Schar derart interessierter Zuhörer umringt gewesen. Jetzt hat er sich den Spaß nicht von einer kleinen Provokation verderben lassen. Und nach einer kurzen Schweigesekunde, so wie man einen vorlauten Volksschüler kurz schmoren läßt, hat er weitergeredet.
    "Wie wir am Unfallort ankommen, natürlich erster Handgriff die Vakuummatratze herausholen. Weil bei Motorradfahrern weißt du es ja nie mit der Wirbelsäule, und da tu ich nie was ohne Vakuummatratze. Der liegt vielleicht noch frisch vergnügt auf dem Asphalt, man glaubt, er hat nur ein bißchen einen Schock, und in der nächsten Sekunde ist er querschnittgelähmt, weil du ihn falsch angegriffen hast. Und auf der Vak ist er eingegossen wie in eine Wachsschicht."
    "Ach, darum sehe ich meine Motorradfahrer immer ein Jahr später im Fernsehen bei der Rollstuhl-Olympiade", hat jetzt der Hansi Munz dazwischengemault, "weil ich immer die Vak vergesse." Weil soweit kommt es noch, daß dir ein Freiwilliger deine Arbeit erklärt.
    Aber der Fürstauer hat sich nicht aus der Ruhe bringen lassen: "Bei Motorradfahrern immer die Vak, sage ich. Im Normalfall.
    Aber heute alles andere als Normalfall. Wie ich die Schiebetür vom 740er aufreiße, damit ich die Vak heraushole, ist die Vak schon besetzt. Ohne Uniform hätte ich den Bimbo bestimmt nicht erkannt."
    Der Fürstauer hat auf einmal einen so verbitterten Gesichtsausdruck bekommen, daß er sogar ausspucken hat müssen, und dann hat er gesagt: "Da möchte ich jetzt einmal hören, was ein Uniformkritiker dazu zu sagen hätte."
    Du mußt wissen, daß es im Umfeld von den Rettungsorganisationen immer wieder die Uniformkritiker

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