Komm und küss mich!: Roman (German Edition)
Leinenschuhe zu heben.
Sie ist kaum älter als fünfzehn, dachte Francesca, obwohl sie steif und fest behaupten wird, sie wäre achtzehn. Aufmerksam studierte sie das Gesicht des Mädchens. Die Pupillen waren nicht geweitet; sie hatte zögernd gesprochen, aber nicht gelallt. In New York brachte sie die Mädchen, die sie für drogenabhängig hielt, in eine Drogenberatungsstelle in Brooklyn, die von Nonnen geleitet wurde.
»Wann hast du das letzte Mal was Anständiges gegessen?« fragte Francesca.
»Ich esse genug«, antwortete das Mädchen trotzig.
Schoko-Riegel, vermutete Francesca. Und andere Süßigkeiten mit viel Chemie. Manchmal legten die Straßenkinder zusammen, um sich Pommes frites zu kaufen. »Möchtest du reinkommen und mit mir reden?«
»Ja, vielleicht.« Das Mädchen zuckte mit den Achseln und warf die Zigarette weg.
Francesca hörte im Geiste Holly Grace sagen: ›Du und deine jugendlichen Ausreißer! Laß sich doch die Regierung um die Kinder kümmern, dazu ist sie schließlich da. Du bist ja wirklich dümmer, als die Polizei erlaubt!‹ Doch sie wußte, daß
die Regierung damit überfordert war. Sie schickte die Kinder einfach zu ihren Eltern zurück, wo die Probleme dann meistens von vorn anfingen.
Durch eine ihrer früheren Fernsehshows in Dallas war Francesca zum ersten Mal mit der Problematik konfrontiert worden. Es ging um das Thema Kinderprostitution. Sie war entsetzt gewesen über die Macht, welche die Zuhälter über diese Kinder ausübten. Ohne genau zu wissen, wie es geschah, hatte sie zwei Mädchen von der Straße aufgelesen und mit nach Hause genommen. Und dann war sie so lange bei der Sozialbehörde Sturm gelaufen, bis man Pflegefamilien gefunden hatte.
Die Nachricht hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet, seitdem hatte sie alle paar Monate eine Ausreißerin am Hals. Ob in Dallas, Los Angeles, New York – wenn sie abends nach der Arbeit die Sendeanstalt verließ, fand sie regelmäßig Mädchen, die schon gehört hatten, daß Francesca in Notsituationen half. Manchmal ging es nur um eine warme Mahlzeit, manchmal wollten sie sich vor ihren Zuhältern verstecken. In der Regel waren sie nicht sehr mitteilsam; sie hatten schon zu viel einstecken müssen. So wie dieses Mädchen kauerten sie vor Francesca, rauchten oder kauten an ihren Nägeln, in der Hoffnung, daß sie schon irgendwie merken würde, daß sie ihre letzte Rettung war.
»Ich muß deine Familie benachrichtigen.« Francesca stellte einen Teller mit Resten in den Mikrowellenherd und setzte ihn dann mit einem Apfel und einem Glas Milch dem Mädchen vor.
»Meine Mutter scheißt drauf, wie’s mir geht«, sagte Doralee.
»Ich muß sie trotzdem anrufen«, beharrte Francesca. Während Doralee tüchtig zulangte, wählte Francesca die Nummer in New Mexico, die das Mädchen widerwillig herausgerückt hatte. Doralee sollte recht behalten. Ihrer Mutter war sie tatsächlich scheißegal.
Nach dem Essen beantwortete Doralee Francescas Fragen.
Eine Zeitlang hatte sie auf den Straßen von Houston gelebt, danach in Austin. Der Zuhälter schlug sie, weil sie nicht genügend Tricks beherrschte. Und sie hatte Angst vor Aids.
Francesca hatte diese Geschichte schon so oft gehört – die armen, hoffnungslosen Kinder, die zu früh ins Leben geworfen wurden. Eine Stunde später brachte sie das Mädchen im Nähzimmer zu Bett und weckte dann Miss Sybil auf, um ihr zu erzählen, was im Steinbruch vorgefallen war.
Miß Sybil leistete ihr stundenlang Gesellschaft, bis sie sie wieder ins Bett schickte. Da Francesca unmöglich schlafen konnte, ging sie in die Küche zurück. Sie stellte Doralees schmutziges Geschirr in den Geschirrspüler, dann legte sie die Küchenschubladen mit neuem Schrankpapier aus. Um zwei Uhr morgens fing sie an zu backen. Um die lange Zeit des Wartens zu verkürzen, war ihr jedes Mittel recht.
»Was ist das denn da, Skeet?« Teddy hüpfte auf dem Rücksitz auf und ab und zeigte mit dem Finger aus dem Fenster. »Da hinten! Die Tiere da!«
»Habe ich dir nicht gesagt, du sollst deinen Gurt anlegen?« schnauzte Dallie den Jungen an. »Zum Kuckuck noch mal, Teddy, hör bloß mit dem Herumgehopse auf. Entweder du schnallst dich sofort an, oder ich fahre rechts ran und halte.«
Skeet sah Dallie stirnrunzelnd an. Dann drehte er sich zu Teddy um. Teddy schaute genauso verdrossen drein wie Dallie, wenn er jemanden nicht riechen konnte. »Das sind Angoraziegen, Teddy. Aus der Wolle werden ganz tolle Pullover gemacht.«
Aber
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