Komm und küss mich!: Roman (German Edition)
Er stellte einen Fuß auf die Stoßstange und starrte in die Richtung, in die sie die Steine geworfen hatte. Endlich wandte er sich wieder zu ihr um. »Du hast dich verändert, Francie. Weißt du das?«
Sie nickte.
»Teddy ist kein gewöhnlicher Junge.«
So wie er das sagte, klang es nicht wie ein Kompliment. »Teddy ist der beste Junge auf der ganzen Welt«, erwiderte sie heftig.
»Er braucht einen Vater, eine starke, männliche Hand. Er ist zu weich. Als erstes mußt du ihm von mir erzählen.«
Am liebsten hätte sie herausgebrüllt, daß sie das niemals tun würde. Aber zu viele Menschen waren schon eingeweiht. Sie würde es kaum länger vor ihrem Sohn geheimhalten können. Widerstrebend nickte sie.
»Du hast eine Menge nachzuholen.«
»Ich habe überhaupt nichts nachzuholen.«
»Mich wirst du jedenfalls nicht wieder los. Entweder wir einigen uns auf gütlichem Wege, oder ich beauftrage einen Halsabschneider von Rechtsanwalt, der Tacheles mit dir redet.«
»Ich will nicht, daß Teddy psychischen Schaden nimmt.«
»Dann müssen wir uns irgendwie einigen.« Er stieg in seinen Wagen. »Fahr jetzt in mein Haus zurück. Ich bringe dir den Jungen morgen wieder.«
»Morgen? Ich will ihn sofort haben! Heute abend noch.«
»Dann hast du Pech gehabt!« Er schlug ihr die Tür vor der Nase zu.
»Dallie!« Aber es war schon zu spät, sein Wagen schoß aus dem Steinbruch hinaus, der Kies flog nach allen Seiten. So schnell sie konnte, raste sie zu ihrem eigenen Wagen.
Zuerst wollte der Motor nicht anspringen. Sie befürchtete schon, die Scheinwerfer hätten die Batterie leer gemacht. Als es endlich doch klappte, war Dallie bereits verschwunden. Ohne Rücksicht auf Verluste nahm sie die Verfolgung auf. Oben angekommen, sah sie in der Ferne gerade noch seine Rücklichter. Er nahm die Abzweigung zur Autobahn, sie brauste ihm nach.
Es wurde eine wilde Verfolgungsjagd. Er versuchte sie abzuhängen, was ihm auch beinahe gelungen wäre, da er die kleinen Nebenstraßen offenbar gut kannte. Trotzdem blieb sie über viele Kilometer dicht hinter ihm, beschleunigte in gefährlichen Kurven und kümmerte sich nicht um das Quietschen der Reifen. Das würde sie ihm nicht durchgehen lassen! Ja, sie hatte ihn verletzt, aber er hatte kein Recht, sie deshalb zu terrorisieren. Die Nadel kletterte höher und höher.
Und sie hätte ihn mit Sicherheit eingeholt, wenn er nicht plötzlich das Licht ausgeschaltet hätte.
26
Francesca fühlte sich völlig ausgelaugt, als sie vor Dallies Haus aus dem Wagen kletterte. Immer wieder ging sie in Gedanken jedes Detail der Zusammenkunft im Steinbruch durch. Die meisten Männer hätten sich nur zu gern vor der Verantwortung für ein unerwünschtes Kind gedrückt. Warum war sie nicht an so einen geraten?
»Äh … Miss Day?«
Die Stimme gehörte einem jungen Mädchen, das bei den Pekanbäumen in der Auffahrt stand. Bloß das nicht! Nicht heute abend! dachte Francesca mutlos. Gerade jetzt, da eine zentnerschwere Last auf ihren Schultern lag. Wie fanden diese Mädchen sie bloß jedesmal?
Ohne hinzusehen, wußte sie, was sie erwartete: ein verzweifeltes junges Gesicht, traurig und verschlossen, billige Kleider und kitschige Ohrringe. Die dazugehörige Geschichte kannte sie auch schon. Aber heute abend wollte sie nicht zuhören. Sie hatte wahrhaftig genug eigenen Kummer.
Das Mädchen trug Jeans, eine schmutzige rosa Jacke und viel zuviel Make-up. Das lange Haar hing ihr wie eine blickdichte Gardine vor dem Gesicht.
»Ich … äh … ich hab’ Sie schon an der Tankstelle gesehen. Zuerst konnte ich nicht glauben, daß Sie es sind. Ich … äh … ich hab’ von einem Mädchen gehört, das ich mal getroffen hab’… äh … also, ich dachte, Sie … äh …«
Die Ausreißer und ihre Geheimtips! Sie hatten sie von Dallas nach St. Louis verfolgt, von Los Angeles nach New York. Jetzt war ihr der Ruf sogar in eine Kleinstadt wie Wynette vorausgeeilt,
daß sie sich nach Strich und Faden ausnutzen ließ … Sie wollte sich zwingen, einfach weiterzugehen. Doch ihre Füße gehorchten ihr nicht.
»Wie hast du mich gefunden?«
»Äh … ich habe ein bißchen rumgefragt. Jemand hat mir gesagt, daß Sie hier wohnen.«
»Wie heißt du?«
»Dora – Doralee.« Sie nahm einen tiefen Zug aus ihrer Zigarette.
»Gehst du bitte mal ins Licht, damit ich dich besser sehen kann?«
Doralee tat das Verlangte, aber höchst widerwillig, als ob es übermenschliche Kraft erfordere, die hochhackigen roten
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